Oliver Pötzsch: Das Mädchen und der Totengräber, Ein neuer Fall für Leopold von Herzfeldt, Ullstein Verlag, Berlin 2022, 494 Seiten, €16,99, 978-3-86493-194-9
„Leo stutzte. ‚Sie meinen doch nicht etwa diesen toten Priester?‘ Er lachte laut auf. ‚Sie glauben also, dieser Priester ist aus dem Totenreich zurückgekommen und hat sich an Strösser gerächt, weil dieser die Leiche seiner Geliebten geschändet hätte? Ich bitte Sie! Das ist doch Humbug!’“
Wien, 1894: Der ziemlich prolligen Oberinspektor Paul Leinkirchner, der seinen Mitarbeiter Inspektor Leo von Herzfeldt, der zu gern feine Anzüge trägt und auch noch Jude ist, so gar nicht mag, kann nicht fassen, womit sich die Polizei wiedermal herumschlagen muss. Da findet eine diebische Putzfrau bei der Durchsuchung einiger Mumien im Kunsthistorischen Museum eine Leiche. Allerdings ist diese Mumie nicht tausende Jahre vorher einbalsamiert worden, sondern vor gut zwei Monaten. Der anerkannte Ägyptologe Prof. Alfons Strössner ist das Opfer, und da er zu den höchsten Regierungskreisen Kontakt pflegte, muss dieser Mord klammheimlich und möglichst ohne Pressebegleitung aufgeklärt werden. Außerdem hatte Strössner zwei Jahre zuvor illegal aus der Nekropole von Deir El-Bahari eine Mumie aus einer unentdeckten Totenkammer für Österreich beiseite geschafft. Dabei handelte es sich um die Mumie des Priesters des Thot, des Gottes der Magie. Und schon kursierten die schönsten Gerüchte über Flüche, denn seltsamerweise sind alle Beteiligten an der damaligen Exkursion nach Ägypten zu Tode gekommen, außer Prof. Walter Kerfeld, der Widersacher von Strössner. Aber auch Kerfeld, der sich vorerst in einem Hotel verschanzt hat, kommt ausgerechnet im Stephansdom, ausgerechnet vor einem Gespräch mit Leo zu Tode.
Und natürlich arbeitet der Totengräber Augustin Rothmayer, ein guter Bekannter von Leo und seiner heimlichen Geliebten Julia, die auch noch als Fotografin für die Polizei arbeitet, so ein Zufall, an einem Buch über die Totenkulte der Völker und da spielt Ägypten eine wichtige Rolle.
Parallel zur Suche nach dem Täter im Mumienfall tauchen an mehreren Stellen in Wien geschändete junge Männerleichen, die offensichtlich Stricher waren, auf. Inspektor Loibl, momentan nicht gerade auf der Höhe seiner Arbeitskraft, da oft alkoholisiert, erkennt nicht den Zusammenhang zu anderen Fällen. So wurden in der Kanalisation bereits menschliche Körperteile gesichtet. Das markante an den Mordfällen jedoch ist, dass die jungen Männer alle nach der Tötung entmannt und die Hoden entfernt wurden. Doch wozu? Was steckt hinter diesen grausigen Taten und warum führen sie in die Kanalisation von Wien? Nur Leo erkennt, dass hier keine Rachemorde im Milieu ausgeführt wurden. Ein Mord an einem jungen Tierpfleger wird dann auch gleich von der überforderten Polizei einem sogenannten „Wilden“ zugeschoben. Der Häuptling des afrikanischen Stammes der Matabele, Saidrovuni, zieht mit seinen Leuten durch Europa, um das Publikum zu belustigen. Zum Glück erkennt Julia, dass der Afrikaner in keinster Weise der Täter sein kann.
Was allerdings die Männermorde in den Straßen und im Tiergarten mit dem Mumienfall und den ägyptischen Totenritualen zu tun haben und welche Rolle die Familie von Strössner dabei spielt, klärt sich erst im Laufe der sich leider allzu lang hinziehenden Handlung auf. Immer neue Konflikte werden von Oliver Pötzsch bei aller Lust am Fabulieren aufgemacht und natürlich fehlen auch nicht die diversen Informationen zu Totenkulten.
Zum Glück kommen sich die beiden Ermittler Leinkirchner und von Herzfeldt etwas näher und auch Inspektor Loibl beginnt seinen Alkoholkonsum etwas einzuschränken. Verletzungen innere wie äußere tragen alle davon, aber bei so brisanten Verfolgungen und Schlägen aus dem Hinterhalt ist das nicht zu vermeiden.
Wie immer hadern alle mit den neumodischen Erfindungen, aber langsam scheint sich das Telefon als hilfreiches Kommunikationsmittel durchzusetzen.
Viel Blut, viele makabre Todesfälle und wie immer ein motivierter Leo von Herzfeldt!