Ann Patchett: Das Holländerhaus, Aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer, Berlin Verlag, München 2020, 400 Seiten, €22,00, 978-3-8270-1417-7
„Maeve und ich hatten bei diesen Arbeitstreffen so viel zu tun, dass wir an das Holländerhaus mitunter monatelang keinen Gedanken verschwendeten. Dass wir jetzt dort parkten, war eher ein Akt der Nostalgie, der allerdings weniger den Zeiten galt, als wir hier aufgewachsen waren, sondern eher den Jahren, als wir stundenlang hier auf der VanHoebeek Street im Auto saßen und quatschten, während wir dabei eine nach der anderen rauchten.“
Überdimensional groß ist das Gemälde des Ehepaares VanHoebeek, dass den Besucher des so genannten, prachtvollen Holländerhauses in Pennsylvania sofort ins Auge fällt. Die Ausstattung der Villa mit Ballsaal, hohen Decken, großen Räumen und Pool erinnert an den Reichtum der einstigen Kaufmannsfamilie, erbaut 1922, ging sie 1946 mit allem Drum und Dran in die Hände des irischen Immobilienhändlers Cyril Conroy über. Der wirtschaftliche Aufsteiger kauft verfallene Häuser, baut diese aus und verkauft sie wieder oder sucht Mieter und kassiert diese höchstpersönlich ab. Als Cyril, der an chronischen Knieschmerzen leidet, mit seiner Frau Elna ins Holländerhaus einzieht, begleitet ihn nicht das Glück. Zwar wird er Vater von zwei Kindern, Danny und Maeve, aber Cyrils Frau kann den Luxus nicht ertragen und verlässt die Familie, um nach Indien zu gehen. Da ist Danny noch ein Kleinkind.
Er ist auch der Erzähler dieser tragischen Familiengeschichte, die sich mit allen Höhen und Tiefen bis zum frühen Tod Maeves erstrecken wird.
Die Handlung setzt ein, als Cyril sich eine neue Frau sucht. Andrea Smith ist eine strahlend schöne Erscheinung, die vom ersten Augenblick an, vom Holländerhaus besessen ist. Die 15-jährige Maeve spürt die innere Kälte und Hinterhältigkeit ihrer künftigen Stiefmutter. Als der immer sehr schweigsame und gegen sich harte Vater die scheinheilige Andrea heiratet, ändert sich vieles im Haus. Andrea bringt zwei jüngere Mädchen mit und bestimmt mit hartem Regiment von Stunde an, was die Dienstboten zu tun haben. Bisher hatten die Schwestern Sandy und Joselyn sehr gut für die Kinder gesorgt. Nach vier Jahren stirbt Cyril, da ist Danny fünfzehn Jahre alt. Maeve, die sich wie eine Mutter um ihren jüngeren Bruder kümmert, ist da schon ausgezogen, da sie Andreas Gegenwart nicht ertragen kann. Alle unguten Vorahnungen werden sich nun bestätigen, denn Andrea, völlig ohne Mitleid oder ein Gefühl für die Trauer anderer, verkündet Danny, Maeve und dem Personal, dass alle das Haus sofort zu verlassen hätten. Geschickt hatte Andrea sich an allen Geschäften Cyrils beteiligt und konnte nun ohne Testament als Alleinerbin bestimmen.
Maeves mathematisches Talent verschafft ihr beruflich eine feste Stelle und so übernimmt sie die Fürsorge für ihren Bruder. Da ein Ausbildungsfond für die Kinder existiert, plant sie diesen ordentlich auszuschöpfen. Danny muss, obwohl er wenig Ambitionen hat, Medizin studieren, und das möglichst lang. Natürlich versucht Andrea dies zu unterbinden, scheitert aber dieses Mal. Fest halten die Geschwister zusammen und verlieren sich nie aus den Augen, auch als Danny heiratet, Kinder bekommt und nicht als Arzt arbeiten wird. Er steigt in die Fußstapfen des Vaters und beginnt Immobilien in New York aufzukaufen.
In zeitlichen Gedankensprüngen, nie chronologisch berichtet Danny von seinem Leben an der Seite der so emanzipierten Maeve, die nie heiraten wollte. Im Gegensatz zu Dannys Frau Celeste, die sich gern Frau Doktor genannt hätte, versteht Maeve Dannys Berufswechsel. Immer wieder fahren die beiden zum Holländerhaus, sitzen im Auto und besprechen alles, was sie innerlich bewegt. Sie sinnen auf Rache, gehen eigene Wege und verabschieden sich innerlich dann doch vom Haus ihrer Kindheit.
Als Maeve jedoch erkrankt, taucht die Mutter Elna wieder auf. Danny sträubt sich, diese kennenzulernen oder ihr zu vergeben, überwindet sich nur Maeves zu Liebe.
Und dann stehen alle drei zusammen vor dem Holländerhaus und begegnen nach siebenundzwanzig Jahren der egozentrischen wie kaltherzigen Andrea, der das Haus ebenfalls kein Glück gebracht hat.
Eine Familiensaga, ein Märchen von der bösen Stiefmutter und Geschwistern, die eng zusammenstehen – Ann Patchett erzählt spannend, realistisch, nicht moralisierend, szenisch dicht und literarisch überzeugend von der Suche nach dem ewigen Glück. Das Haus symbolisiert den Reichtum, aber auch die Idee, es geschafft zu haben. Vertrieben aus dem Paradies stehen die Geschwister von einem Tag zum anderen vor der verschlossenen Tür. Nichts konnten sie mitnehmen, nicht mal ein Erinnerungsstück an den Vater. Und doch hat er Spuren hinterlassen.
Ann Patchetts Figuren sind sehr lebendig und doch ambivalent gezeichnet, so dass man ihnen gern folgt. Sie zeigen Schwächen, sind innerlich stark und doch auch fehlbar. Alles Glück wünscht man den Schwächeren und alles Pech den mitleidlosen scheinbar Starken.
Zu Recht war Ann Patchetts Roman für den Pulitzerpreis nominiert!