Anna Kuschnerowa: Das Herz von Libertalia, Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 2015, 461 Seiten, €17,95, 978-3-407-81187-5

„Ja, ich machte alles wie die Jungs, denn wenn man sich wie ein Junge verhielt, dann wurde die Welt größer und man selbst freier.“

Das Jahr 1720 ist ein grausiges Jahr für Anne Bonny und Mary Read, denn beide sitzen im Gefängnis in Jamaika, in Spanish Town. In zwölf Tagen wird ihr Leben am Galgen enden. Anne erinnert sich an ihre Kindheit, die Männer in ihrem Leben und ihr freies Dasein an Bord verschiedener Piratenschiffe.

Als uneheliches Kind 1700 in Cork, Irland, geboren, wächst Anne als Junge auf. Ihre Mutter Peg, ein Dienstmädchen, hatte sich in William Cormac verliebt. Doch seine Frau, die steife Elizabeth, kommt den beiden auf die Spur und entlässt Peg.

Immer wieder besucht der Vater das Kind, dass in Hosen sich viel wohler fühlt als in Röcken. Anne, ein wildes, rothaariges, schönes Kind hört am liebsten ihrem Uncle Grandpa zu, der von Libertalia erzählt.

„Libertalia ist ein Ort, an dem jeder so sein darf, wie er ist. Wo die Menschen frei sind und einander in Frieden und Respekt leben lassen.“

Als Annes Vater seine Geliebte mit „Sohn“, er ist angeblich der Neffe John Dean einer fernen, verstorbenen Verwandten, in seine Nähe holt, trennt sich seine wohlhabende Frau und William entschließt sich mit der neuen Familie nach Amerika auszuwandern. Gut sechs Wochen dauert die Überfahrt nach Charles Town. Annes Mutter versinkt mehr und mehr in Depressionen, zum einen weil sie mit William in wilder Ehe lebt und ihn nie heiraten kann, denn Elizabeth stimmt eine Scheidung nicht zu, zum anderen aus Heimweh. Anne wird im neuen Land, in dem der Vater schnell zu Land und Haus kommt, wieder als Mädchen ausstaffiert und sie hasst es. Sie liebt die Freiheit in Männerhosen und sie hasst die Unterordnung der Frau unter die Regeln der männlichen Gesellschaft. Als sie zu einer Heirat mit einem brutalen Farmersohn gezwungen wird, ergreift Anne die Flucht mit dem ziemlich feigen, aber gut aussehenden James Bonny. Sie heiratet ihn und hofft auf die Vergebung des Vaters. Umsonst. Anne ist schnell auf sich gestellt, denn James ist eine Enttäuschung und somit wird sie künftig mit dem sogenannten Abschaum der Gesellschaft leben.

Aber Anne hat eine wilde Natur, sie beißt sich in vielem durch und sie spürt die Ungerechtigkeiten, die Menschen angetan werden.

Was bleibt, ist ihre Sehnsucht nach Libertalia und die Seefahrt. Als sie Jack Rackham kennenlernt, geht sie mit ihm an Bord der „Neptune“. Als Schiffsjunge und Zimmermannsgehilfe beginnt die junge Frau ihren Dienst auf dem Piratenschiff. Sie lebt nun unter desertierten Marinesoldaten, Abenteurern, entlaufenden Sklaven und Schwerkriminellen. Anne ist klar, sie darf als Frau nicht erkannt werden und sie darf weder schwanger noch krank werden.

Der raue Ton der Männer stört sie so wenig wie die harte Arbeit, nur die Raffgier des Kapitäns und seine Freude, Gefangene zu quälen, ärgert sie maßlos. Anne hat einen starken Willen, sie sorgt für die Ablösung des Kapitäns, der von der Mannschaft gewählt wird. Aber dann dreht sich das Blatt. Anne erwartet ein Kind und sie weiß, dass sie eine schlechte Mutter sein wird. Sie kann nicht an Land leben. Eine Fehlgeburt beendet dieses unliebsame Kapitel in ihrem Leben.

Ein neuer Gouverneur nimmt seine Arbeit in New Providence auf. Woodes Rogers will die Piraterie abschaffen und die Gegend befrieden.

Anne, inzwischen zum Kapitän aufgestiegen, Jack versinkt immer mehr in Selbstmitleid, Alkohol und Opiumträumen. ahnt wie schwer ihr zukünftiges Leben auf See werden könnte. Und dann heuert ein neuer Steuermann an, der wirklich exzellent navigieren kann, Marc Read, eigentlich Mary Read.

Anna Kuschnarowa erzählt von Menschen, die einst wirklich der Piraterie ihr Leben gewidmet haben, Anne Bonny, Mary Read oder Jack Rackham. Historisch belegt und doch ziemlich frei blättert sich nach und nach die Biografie Anne Bonnys auf. Modern, unterhaltsam und vor allem gerechtigkeitsliebend präsentiert die Autorin ihre Hauptfigur, die in allem den Männern an ihrer Seite überlegen war.

Und sie spart nicht mit gesellschaftlich bedingten Details aus dem damaligen, harten Leben, dem sich Frauen unterordnen mussten, noch an Beschreibungen der Praktiken an Bord der Piratenschiffe. Atemberaubend liest sich dieser Roman über ein ungewöhnliches Frauenleben vor gut 300 Jahren.