Eddie Joyce: Bobby, Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring und Karen Nölle, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2016, 416 Seiten, €22,99, 978-3-421-04651-2

„ Ja, sie redet ständig mit Bobby. Sie redet mit dem Säugling, der unter den aufgehängten Würsten im Dachgeschoss seines Großvaters schlief. Sie redet mit dem verliebten Jugendlichen, der auf und nieder seine Wadenheber machte. Sie redet mit dem untröstlichen Jungen, den sie einst hier fand. Sie redet mit ihnen allen. “

Fast zehn Jahre ist es nun her, dass Bobby Amendola, die „unbeschwerte, gutmütige Seele mit Fehlern“, nicht von seinem Einsatz als Feuerwehrmann an diesem sonnig klaren 11. September 2001 zurückgekehrt ist. Auch wenn Gail, Bobbys Mutter, immer noch sein Zimmer hütet wie einen Schatz, das Leben in Staten Island geht weiter. Für die Mutter gibt es keinen Trauerort, kein Grab, nur diese inneren Gespräche mit ihrem Sohn. Durch den Tod des Jüngsten hat sich in der italienisch-irischen Familie vieles verändert und nun erzählt Tina, Bobbys Frau, dass sie einen neuen Mann kennengelernt hat. Wade Alderson, ein Freund von Peter, Bobbys ältesten Bruder, hat ein gutes Einkommen und ist lieb zu den Kindern. Er hat seine Frau, sie war schwanger, vor drei Jahren bei einem Autounfall verloren.
Aus verschiedenen Perspektiven lässt Eddie Joyce auch in Rückblicken seine fiktiven Figuren, Gail, Peter, Michael, Bobbys Vater oder Francis, Bobbys zweiten Bruder, auf die Familiengeschichte der Amendolas blicken. Als Gail ihrer Mutter erzählt, dass sie mit Michael Kinder haben und in Staten Island leben wird, sagt die verbitterte Mutter ihr, es sei besser keinen Nachwuchs zu haben. Nie wird sie den Weg von Manhattan über die Brücke zur Insel antreten.

Aber die umtriebige Gail wird auch ohne ihre Familie, den trinkenden Vater und die kalte Mutter, glücklich. Sie bekommt drei Jungen, Michael ist ein liebender Vater und ein guter Ehemann, der Sport liebt und mit seinen Freunden gern einen trinkt. Als jüngster hatte Bobby einiges auszustehen und doch gab es zwischen den Brüdern, gerade zwischen Bobby und Francis den engsten Kontakt. Seit Bobbys Tod ist Francis abgestürzt und das Sorgenkind in der Familie. Peter hat sich eher von der Familie und Staten Island gelöst. Als Partner in einer angesehenen Anwaltskanzlei ist er zum Arbeitstier geworden, nur noch auf seine Karriere fixiert. Für die Familie, auch seit Bobbys Tod, hat er kaum Zeit. Trifft er seine Mutter, redet er nicht von sich, sondern provoziert Streit. Peters Frau, Lindsey, die nie mit Gail so richtig warm werden konnte, und die Kinder spielen in seinem Leben nur eine Nebenrolle. Als jedoch eine durchaus attraktive junge Mitarbeiterin aus Staten Island auftaucht, beginnt Peter ein Verhältnis mit ihr. Wie eine Seelenverwandte, so redet er sich ein, ist Regina Giordano für ihn. Als es zum Eklat kommt, muss Peter sich entscheiden, wie er künftig leben will.

Nach und nach lernt der Leser alle Familienmitglieder und ihre Innenansichten kennen. Die Handlung kulminiert in der ersten geplanten Begegnung mit dem Neuen von Tina, die äußerst verunsichert bei Gail Rückendeckung sucht. Wie wird Francis reagieren, wie Peter, der die beiden doch bekannt gemacht hat?

Es sind die Familiengeschichten, der Alltag, die Zerwürfnisse, die Konflikte, Versöhnungen und die Bindung an die Heimat, die die so unterschiedlichen und doch sympathischen Amendolas zusammenschweißen. Und es ist der Schmerz und Bobbys Geist, der über allen schwebt und sie nicht loslassen kann.
Eddie Joyce hat mit Gail eine mitreißende, starke Figur geschaffen, die die Familie zusammenhält, Unterstützung gibt und auch annehmen kann und die sich um alle sorgt, ohne wirklich jemandem zu nahe zu treten. Der Autor vermag durch seinen Erzählton den Leser ganz nah in diese Familie heranzuführen und doch auch Distanz zu wahren.

Sprachlich exzellent, lebensnah, tiefsinnig, atmosphärisch dicht und dabei unterhaltsam erzählt der amerikanische Autor, der selbst aus Staten Island stammt, von dieser Familie, die stellvertretend für viele auf der Insel stehen kann, die jemanden an diesem grausamen Tag verloren haben. Und die Familiengeschichte steht für Lebenswillen und Kraft.