Maile Meloy: Bewahren Sie Ruhe, Aus dem Amerikanischen von Anna-Christin Kramer und Jenny Merling, Verlag Kein & Aber, Zürich 2017, 440 Seiten, €23,00, 978-3-0369-5776-0
„Sie waren sechs Tage lang verschwunden gewesen, und es fühlte sich an, als sei sie nun auf einem anderen Planeten aufgewacht. Es fühlte sich nicht einmal an, als gäbe es hier genug Luft zum Atmen.“
Sie sind fast wie Schwestern aufgewachsen, die Cousinen Liv und Nora. Nora wurde von ihrer Mutter nicht gerade umsorgt und so ist es doch verwunderlich, dass Nora beim Tod der Mutter in eine tiefes Loch fällt. Um dem traditionellen Weihnachtsfest zu entgehen, schlägt Liv eine Kreuzfahrt von Kalifornien Richtung Panamakanal und wieder zurück vor. Zwei Wochen ausruhen, gut essen und einfach entspannen. Liv ist mit Benjamin verheiratet und hat zwei Kinder, Sebastian ist acht Jahre alt und Penny elf. Nora lebt mit Raymond zusammen, sie haben ebenfalls zwei Kinder, Marcus ist elf und June sechs Jahre alt. Da Liv in der Filmbranche arbeitet und Raymond als Schauspieler, hat sie ihn ihrer Cousine vorgestellt. Erwachsene und Kinder mögen sich und so scheint dem harmonischen Urlaub, nichts im Wege zu stehen. Die Kinder bemerken gleich, dass sie kaum Spielgefährten auf dem Schiff finden. Nur eine argentinische, ziemlich reiche „juwelenbesetzte“ Familie hat ältere Kinder, Hector ist sechzehn und Isabel vierzehn Jahre alt.
Niemand ahnt, dass alle Kinder demnächst eine Schicksalsgemeinschaft bilden werden und in Gefahren geraten, die sich niemand ausmalen möchte.
Parallel zu der illustren Gesellschaft auf dem Schiff lernt der Leser die zehnjährige Noemi kennen, die mit ihrem Onkel von Panama aus in die entgegengesetzte Richtung reist. Noemis junge Eltern leben illegal in New York. Die lateinamerikanische Großmutter kann sich nicht mehr um die Enkelin kümmern und so muss das Mädchen mit einem Onkel beschwerlich zu den Eltern reisen.
Als den beiden amerikanischen Familien dann doch die Decke auf den Kopf fällt, beschließen sie mit den Kindern einen Landausflug zu machen. Welches Land genau betreten wird, bleibt offen. Gesagt wird nur, dass es „die Schweiz Südamerikas“ sei, vielleicht Costa Rica. Die Männer jedenfalls gehen Golf spielen und die Frauen, Camilla, die Mutter von Hektor und Isabel, Liv und Nora und die Kinder treffen sich zum Ausflug mit Pedro. Als dann aber Pedros Van eine Panne hat, die Kinder beschließen im offenen Meer schwimmen zu gehen, wo es keine Haie geben soll, bahnt sich die Katastrophe an.
Das Tragische an der Geschichte ist, dass die Mütter im Urlaubsmodus nicht auf die Kinder geachtet haben, diese mit der Flut vom Badeplatz fortgezogen wurden und zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort die falschen Leute treffen. Die aufgelösten Eltern, Nora und Liv belastet auch noch eine Lüge, können nur hoffen, dass die Kinder zusammenbleiben und trotz Überbehütung die richtigen Entscheidungen treffen. Allerdings ist Sebastian, der Diabetiker ist, in großer Gefahr. Penny ist ein aufgewecktes Kind, dass immer geradeheraus ihre Meinung sagt und Marcus hochsensibel und gleichzeitig hochbegabt. Isabel, nur mit einem Bikini bekleidet, ahnt als einzige, was ihnen bevorstehen könnte, denn die Kindergruppe befindet sich in den Händen von extrem gefährlichen Drogenhändlern. Wären die Polizisten in dem südamerikanischen Land nicht so korrupt, hätte die Entführung der Kinder ein schnelles Ende finden können. Dabei wissen Liv und Nora ganz genau, dass nach ihren Kindern nur gesucht wird, weil sie US-Amerikaner sind. Eine bittere Erkenntnis, denn wenn sie etwas wirklich noch nie empfunden haben, dann war das existentielle Angst.
Ein Appell an die Entführer im Fernsehen führt zu keinem Ergebnis und letztendlich spüren die Cousinen, dass ihr einvernehmliches Verhältnis nach diesem Urlaub beendet sein wird. So wie die Dynamik zwischen den beteiligten Erwachsenen sich verändert und alle ihr Gesicht verlieren, entwickeln sich auch zwischen den Kindern starke Sympathien und Antipathien.
Jeweils aus der Sicht der beteiligten Familienmitgliedern wird die Geschichte erzählt. Auf ihrem Leidensweg treffen die Kinder dann auf Noemi und es scheint so, als würden zwei Welten aufeinandertreffen.
Maile Meloy inszeniert eine dramatische Handlung, die den Leser nicht kalt lässt und im Bangen um die Kinder Seite um Seite fesselt. Sicher kann man den Roman als Schicksalsschlag dreier oder sogar vier Familien lesen.
Aber man kann es auch als Metapher deuten und erkennen, nichts ist mehr sicher, wenn man nicht jeden Moment die Augen aufhält und sich auf das Wesentliche konzentriert.
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