Anne Holt: Das elfte Manuskript – Ein Fall für Hanne Wilhelmsen, Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs, Atrium Verlag, Hamburg 2024, 446 Seiten, €24,00, 978-3-85535-687-4
„Wenn die Alfhild-Herstjordet-Serie und das elfte Manuskript von einer dritten Person geschrieben worden wären, hätte diese Alarm geschlagen. Sich bitter und lauthals beschwert. Geld verlangt.
Fünfzehn Jahre lang hatte jedoch niemand irgendein Eigentumsrecht geltend gemacht.
Könnte eine solche dritte Person tot sein?
Seit über fünfzehn Jahren?“
Zur beginnenden Pandemie des Nachts in Oslo auf der Straße zu sein, scheint der nun im Rollstuhl sitzenden Ermittlerin Hanne Wilhelmsen außer Dienst wenig auszumachen. Hier trifft die Vierundsechzigjährige sich gern mit dem stillen, wie unsicheren gerade gegenüber Frauen, im Beruf aber hellwachen Henrik Holme von der Mordkommission, dessen neuer Fall ihm wirklich Sorgen bereitet. In einem Kofferraum eines Autos wurde eine tote, langhaarige, nackte Leiche gefunden, deren Gesicht auf brutale Weise zertrümmert wurde. Erschreckend ist, dass diese Frau, die um die fünfzig Jahre alt ist, nicht vermisst wird. Die Ermittlungsarbeiten ziehen sich enorm in die Länge. Erst Hannes Hinweise auf eine Expertin bringt den Fall in Bewegung. Es stellt sich heraus, dass die tote Frau sich nie in ärztliche Behandlung begeben hat. In ihren Haaren finden sich Blüten einer seltenen Blume, die nur in einer bestimmten Region wächst.
Parallel zu diesem scheinbar aussichtslosen Fall hat Hanne Wilhelmsen, die in ihrem Umgang mit Menschen nicht gerade freundlich oder gar zugänglich ist, einen Roman, natürlich einen Krimi, beim wohl bekanntesten norwegischen Verlag eingereicht. Die neue Lektorin Ebba Braut ist sehr an diesem Manuskript einer Debütantin interessiert und trifft allerdings auf eine ziemlich mürrische Hanne, die nicht möchte, dass ihr Buch lektoriert wird. Die fünfundzwanzigjährige, unerfahrene Ebba Braut, die nie Literaturwissenschaften studiert hat, sondern von Beruf Theologin ist, tritt die Nachfolge der allseits geschätzten Eli Schwartz an, die nun in Rente geht. Ebba übernimmt als Lektorin auch die berühmteste Autorin des Verlages, Kate Howe. Sie ist die Schwester der Programmleiterin, Marion Kovig, und als Mensch eher unberechenbar, egozentrisch, verlogen, illoyal und wie es scheint Alkoholikerin. Gleich zu Beginn von Ebbas Arbeit beim Verlag verschwindet das elfte Manuskript von Kate Howe, die einer Marotte gleich immer nur das Original beim Verlag abgibt und nie eine Kopie anfertigt, da sie auf einer alten Schreibmaschine schreibt. Eli Schwartz könnte ganze Abende mit Erzählungen über Autoren, deren Macken und anstrengende Absonderlichkeiten füllen. Eli hatte allerdings vergessen Kopien anzufertigen, aber der wahre Sündenbock ist eigentlich die neue Lektorin. Immer deutlicher wird, dass Ebba völlig überfordert von ihrer Aufgabe nun auch noch in der Pandemie gegen Wände im Verlag läuft. Hilfe erhofft sich Ebba von Hanne, die Lust hat, sich mit den Hintergründen des verschwundenen Manuskripts zu beschäftigen. Allerdings hatte Marion Kovig Ebba ausdrücklich untersagt, Nachforschungen anzustellen. Und dann ist da noch die Geschichte eines Totengräbers, der seltsamerweise im Haus einer guten, allerdings verstorbenen Bekannten eine Kiste mit enorm viel Geld findet.
Wie Anne Holt nun all diese Geschichten, zum einen die des verschwundenen Manuskripts von Kate Howe, den Mord an der geheimnisvollen Frau, die offenbar stumm war, und die des Totengräbers verknüpft, ist schon gewagt. Natürlich kann sich die bekannte norwegische Autorin die Seitenhiebe auf den Literaturmarkt und Verlagsinterna nicht verkneifen und sie konstruiert dazu auch noch eine zehnbändige Ausgabe einer erfolgreichen, fiktiven Reihe, die im 13. Jahrhundert spielt.
Spannend bis zum Ende hält Anne Holt alle Trümpfe in der Hand und lässt ihre Lesenden erfolglos spekulieren, was geschehen sein könnte. Am Ende jedoch überrascht sie wie immer mit der Auflösung.
Absolut lesenswert!