Anne Cathrine Bomann: Rosa, Aus dem Dänischen von Franziska Hüther, hanserblau in der Carl Hanser Verlag GmbH, München 2024, 337 Seiten, €22,00, 978-3-446-28154-7
„Auf dieselbe Weise schwimmt Rosa nun vom Grund herauf, sobald ich den Deckel ihres Tanks öffne, und umschlingt meine Hände. Die Zurückhaltung, mit der wir einander am ersten Tag begegnet sind, haben wir längst abgelegt.“
Wenn Vigga, sie ist auch die Ich-Erzählerin, eines wirklich schwer fällt, dann ist es in einer Gruppe mit Menschen Kontakt aufzunehmen und zu kommunizieren. Als Außenseiterin dümpelt die junge Frau, die Ende zwanzig ist, in Kopenhagen von Praktikum zu Praktikum und findet kaum Gefallen an irgendeiner Tätigkeit. Ihr Berater im Arbeitsamt ist wirklich geduldig. Nur mit Maiken, die Vigga in der Fachoberschule kennengelernt hat, verbindet sie eine enge Freundschaft. Zwar hat Maiken ihren Freund Daniel, aber sie findet immer noch sehr viel Zeit, um mit Vigga Filme zu sehen oder einfach nur zu reden.
Ihr neuestes Praktikum absolviert die junge Frau im Oceaneum. Ihr Mentor Johannes brennt für seine Arbeit, was Vigga völlig fremd ist. Fische interessieren sie auch nicht so wirklich und Fische ausnehmen, um diese an die anderen Fische zu verfüttern schon gar nicht. Wie immer zieht sich Vigga in sich zurück, ignoriert die anderen Mitarbeiter und bringt es nicht mal fertig zu grüßen.
Was die junge Frau denkt und warum sie so introvertiert ist, erzählt sie ausführlich in einem Gedankenstrom, der die Lesenden schnell gefangen nimmt. Denn Viggas Beobachtungen sind haarscharf und vielleicht auch gar nicht so falsch. Sie glaubt, dass andere Menschen in ihrem Verhalten nicht wahrhaftig sind, sich immer wieder verstellen, sich anpassen und so in der Gemeinschaft funktionieren. Vigga ist dazu einfach nicht in der Lage. Auch Viggas Beziehung zu ihrer Mutter ist kaum liebevoll oder gar eng.
Als Maiken Vigga dann mit der Nachricht überrascht, dass sie schwanger ist, kann die junge Frau nicht angemessen reagieren. Die Beziehung der Freundinnen driftet langsam auseinander, obwohl beide sich doch so sehr mögen und Vigga Maiken auch sehr braucht.
Als Wendepunkt in Viggas Arbeit, Johannes geht erstaunlich tolerant mit Viggas Passivität um, erweist sich dann die Begegnung der jungen Frau mit dem Oktopus Rosa. Wie verwandelt, beginnt Vigga sich mit dem Tier und auch den Fischen zu beschäftigen. Sie schreibt alles auf, was sie erfahren kann und sie beginnt die Nähe, auch das Berühren des Oktopus zu genießen. Auch wenn der Oktopus in der Gefangenschaft lebt, erkennt sich Vigga in Rosa wieder. Je enger der Kontakt zu Rosa wird, um so mehr verlieren sich Vigga und Maiken, die oft sehr müde ist und gedanklich bei ihrem neuen Leben mit Kind verweilt und Vigga sich ausgeschlossen fühlt. Doch auch hier hilft der Krake in seinem erstaunlichen Verhalten, Viggas Einstellung zu ändern.
„Auf einmal komme ich mir dermaßen dumm vor. Da saß ich und habe einer Krake meine Gedanken anvertraut, eine Freundschaft mit Rosa erfunden, um mich weniger allein zu fühlen.“
Anne Cathrine Bomann hat ein erstaunlich berührendes Buch über eine außergewöhnliche Beziehung mit Tiefgang geschrieben. Vigga, die auch unsympathische Züge hat, in ihrem Verhalten zu verstehen, braucht eine Weile. Aber dann durchschreitet man mit dieser ambivalenten Figur einen Erfahrungsbereich, der sicher bisher vielen verschlossen war.