Marion Brasch: Ab jetzt ist Ruhe, Roman meiner fabelhaften Familie, S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2012, 399 Seiten, €19,99, 978-3-10-004420-4\r\n
„Meine drei Brüder hatten schon so wichtige Dinge getan, als sie in meinem Alter waren. Sie hatten rebelliert, um ihre Träume ins Leben zu holen. Und ich? Keine Leidenschaft für nichts. Stattdessen rief ich in meiner eigenen Wohnung an.“
Marion Brasch wird 1961 in eine möglicherweise fabelhafte, aber auch komplizierte Familie hineingeboren. Ihre Eltern lernen sich als jüdische Emigranten in London kennen. Der Vater beschließt eine politische Karriere in der DDR, seine Frau, deren Familie ursprünglich aus Wien stammt, weigert sich mit dem erstgeborenen Sohn Thomas mitzugehen. Nach einem Jahr fügt sie sich und reist zu ihrem Mann.
Im Abstand von jeweils fünf Jahren werden noch drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter geboren.
Marion ist das unauffällige Küken. Es entsteht jedoch beim Lesen der Eindruck, dass sie im Schatten der Brüder stehen wird. Alle drei Jungen sind künstlerisch begabt, werden Schriftsteller oder Schauspieler. In harten, politischen Auseinandersetzungen, Vater Horst ist stellvertretender Kulturminister der DDR, reibt sich die Familie nach und nach auf. Thomas rebelliert und wird, das klingt nur in einem Nebensatz an, vom eigenen Vater angezeigt. Er geht ins Gefängnis und zur Bewährung in die Produktion. Später wird er die DDR verlassen und sich doch immer wieder mit ihr schmerzlich auseinandersetzen. Das DDR-Regime reagiert auf das Fehlverhalten noch so linientreuer SED-Funktionäre mit Strafversetzung und die Familie zieht vom Berliner Alexanderplatz ins öde Karl-Marx-Stadt.
Der mittlere und der jüngste Bruder suchen sich ihre eigenen Wege, sie toben sich aus, trinken viel und verlassen nach und nach die Familie. Marions Mutter, die sich desillusioniert und vom Leben enttäuscht in den Sarkasmus flüchtet, stirbt an Krebs, da ist die Tochter 15 Jahre alt.
Die Erzählerin setzt sich mit den Konflikten gerade im Teenager-Alter kaum auseinander, auch nicht mit der Gesellschaft, in der sie lebt. Sie schaut gern fern und lässt die Tage unspektakulär an sich vorbeiplätschern. Diese Lethargie überrascht und nervt beim Lesen, zumal Marion Brasch trotz dieser Familiengeschichte auch noch völlig angepasst, angeblich ihrem Vater zuliebe, in die SED eintritt. Marion Brasch sucht sich, ihre Stiefmutter ist unerträglich und bei der Stasi, der Vater ständig auf Reisen, eine heruntergekommene Hinterhauswohnung und erhält sogar einen Mietvertrag. Der Vater sorgt dafür, dass sie eine Neubauwohnung beziehen kann, die sie wiederum gegen eine größere Wohnung umtauscht. Ausbildung, Arbeit, verschiedene Beziehungen werden beschrieben. Immer wieder schildert sie Szenen mit den, und dieser Eindruck prägt sich ein, sehr auf sich bezogenen Brüdern, es wird geschwiegen, gestritten.
Bei allem Interesse an den Brüdern, der zunehmenden Eifersucht zwischen Thomas und Klaus, Peter ist nach der Premiere von „Solo Sunny“ unerklärlich jung verstorben, kann man sich durch Marion Braschs Schilderungen jedoch kaum ein genaues Bild von den drei unterschiedlichen Menschen Thomas, Klaus und Peter machen. Eindeutiger ist da schon die Beziehung zum Vater, der wie die Tochter in diesem ambivalenten Verhältnis zu den rebellischen Söhnen steht.
Die Brüder werden auch nicht namentlich benannt, genau so wenig wie Lebenspartner oder Schriftsteller und Künstler im Umfeld der Brüder benannt werden. Seltsame Umschreibungen, wie zum Beispiel die eines amerikanischen Schauspielers, (der an der Seite von Marilyn Monroe eine Frauenrolle gespielt hat ), der mit Thomas Brasch drehen sollte, wirken eigenartig. Der Leser fragt sich, was diese seltsame Geheimnistuerei soll, denn denjenigen, der nichts über die Familie Brasch weiß, entschlüsseln sich die Figuren kaum. Marion Brasch nimmt konsequent die Perspektive der kleinen, naiven Schwester ein und verlässt diese Rolle auch nicht. Diese immense Distanz befremdet bis zur letzten Seite.
Marion Brasch, freie Rundfunkmoderatorin beim Regionalsender Radio 1 in Berlin, schreibt so wie sie ausgeruht in kleiner Runde auch erzählen würde. Sie erklärt nichts, bemüht sich nicht um einen ausgefeilten Stil, versucht nicht die Biografien ihrer Brüder zu deuten oder gar zu analysieren. Sie schildert ihre Tage in der DDR, die Familienszenen und beschreibt dadurch genau die typische DDR-Atmosphäre. Durch die zwar angekratzte aber immer noch einflussreiche Stellung ihres Vaters gelangt sie zu Privilegien, wie Telefon, Devisen, auch wenn es nur Forum-Schecks waren, eine Zwei-Raum-Wohnung, ein Auto und Reisen nach London oder kurz vorm Mauerfall nach Westberlin. Aus heutiger Sicht könnte man darüber lächeln, damals war das mehr als Luxus und Lebensqualität, ein Stückchen Freiheit innerhalb des Grau in Grau. Marion Brasch nimmt es fast selbstverständlich mit und lebt ihr Leben, dass sich von dem ihrer Brüder so ungleich abhebt. Der Satz „Ab jetzt ist Ruhe“ erklang, wenn die Mutter am Abend das Licht im Kinderzimmer löschte. „Ab jetzt ist Ruhe“ steht aber auch für das Ende einer Auseinandersetzung mit einer „fabelhaften Familie“, alle drei Brüder sind tot und auch Vater Horst ist kurz vor der Wende verstorben.
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