Ann Rosman: Die Wächter von Marstrand, Aus dem Schwedischen von Katrin Frey, Rütten & Loening Verlag, Berlin 2013, 388 Seiten €16,99, 978-3-352-00855-9
„Vielleicht wurde es Zeit, altes Unrecht zu vergessen?“
Der neue Fall von Karin Adler, der Kriminalkommissarin, die auf einem Segelboot lebt und eng verbunden ist mit der Schärenlandschaft vor Marstrand, reicht weit in die Vergangenheit bis an den Beginn des 19. Jahrhunderts zurück. Die Bontanische Vereinigung stößt im Alten Moor bei der Entnahme von Bodenproben auf einen grausigen, aber gut erhaltenen Leichenfund. Ein Frau wird entdeckt, die einen Säugling im Arm hält. Die Kleidung weist darauf hin, dass die Frau und das Kind bereits vor langer Zeit umgekommen sind. Ihr wurde der Schädel eingeschlagen, ihre nackten Füße weisen auf eine Flucht hin und das Kind, in ihren Armen, war durch einen Lungenschaden von Geburt an nicht lebensfähig.
Parallel zu diesem aktuellen Fund erzählt Ann Rosman die Geschichte von Agnes, einer jungen Frau, die 1794 vor ihrer Heirat entflieht, sich als Mann verkleidet und durch ihre väterliche Ausbildung sogar Arbeit im Freihafen von Marstrand findet. Als Agne Sundberg verdient sie sich ihr Geld bei einem Kaufmann, der in dubiose Schmuggelgeschäfte verwickelt ist. Bei einem Überfall wird Agnes lebensgefährlich verletzt und von Oskar Ahlgren, mit dem sie sich allerdings als Mann angefreundet hatte, gerettet. Oskar und Agnes werden heiraten, eine Tochter bekommen und den Machenschaften ihrer Nachbarn, die sich fremdes Eigentum mit dem Freibrief des schwedischen Königs aneignen, tatenlos zusehen.
Auf gleichem Grund und Boden trägt in der unmittelbaren Gegenwart in einem dritten Handlungsstrang ein Geschwisterpaar einen Streit um den geerbten Hof aus. Vendela und Rickard verleben seit sie denken können ihre Ferien auf Bremsegard. Aber Rickard und seine mondäne Frau Jessica, die sich keinen Deut für den Erhaltung des Hofes interessiert, wollen ihn verkaufen. Vendela ist nicht in der Lage sie auszubezahlen und außerdem ist da noch die alte Astrid, die in einem Nebengebäude seit 1955 lebt. Einst gehörte ihrer Familie der Hof, doch ihr Vater hat durch seiner Trunksucht und Schlampigkeit nach sieben Generationen alles verloren. Rickard und Vendelas Vater gestatteten Astrid zu bleiben. Auf der Suche nach einem Grund den Hof nicht zu verkaufen, stößt Astrid in alten Papieren auf ein Tagebuch. Es sind die Aufzeichnungen von Agnes, die detailliert vom damaligen Leben der Familien, aber auch von den Untaten der Kaperer und Seeräuber vor Marstrand berichtet. Oftmals haben die Seeleute die gekaperten Schiffe und ihr Hab und Gut nicht ausgeliefert, sondern die Besatzung bestialisch ermordet und die eroberten Güter behalten oder veräußert. Auf einem holländischen Kaufmannsschiff nahmen die Seeräuber eine Frau gefangen und hielten sie als ihre Sklavin, ohne zu ahnen, dass diese Frau dem holländischen Königshaus nahe stand. Agnes hat die Gefangene getroffen und mit ihre gesprochen, denn auch ihre Großmutter war aus Holland und brachte ihr die Sprache bei.
Astrid und Vendela haben inzwischen einen guten Grund gefunden, weshalb die geldgierigen Städter den Hof kaum mit Gewinn verkaufen können. Ein Stück Land gehört immer noch Astrid und dort befindet sich der Brunnen. Diese Tatsache und ihr unsensibler Umgang mit Astrid wird Jessica das Leben kosten.
Ann Rosman hat eher einen historischen, wie atmospärisch dichten Roman mit lebendigen Schilderungen über das Leben der Familien an Land und auf See um Marstrand geschrieben als einen Krimi. Sie verquickt zwar Gegenwart und Vergangenheit, indem die Orte des Geschehens die gleichen bleiben, zeigt die Gleichgültigkeit der jungen Generation gegenüber alten Werten und Menschen, legt aber den Focus auf die geschichtlich interessante Zeit des Freihafens von 1774 bis 1796 bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. War es nur ein Überlebenskampf, den die Wächter von Marstrand ausfechten mussten, um ihre Familien zu ernähren oder war es menschlich eine verwerfliche Zeit, die aus einstigen Seefahrern und Kapitänen wahre Bestien machte?
Eine spannende Lektüre, deren roter Faden sich aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart zieht. Ein Krimi, der nicht alles genau klären wird, aber doch vieles verrät.
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