Anke Schipp: Hunger, Pipi, Durst! – Eine Chaosfamilie macht Urlaub, Dumont Verlag, 239 Seiten, €8,99, 978-3-8321-6224-5
„Und ich denke: Immer noch besser den Urlaub mit einer Nagelstudioangestellten zu verbringen als mit einer Esoterikmutter, die immer alles ganz bewusst macht.“
Es gibt sie nicht, auch wenn sie vier Elternratgeber gelesen hat und sogar an einer Veranstaltung des dänischen Erziehungsexperten, der sich nie so nennen würde, Jesper Juul, teilgenommen hat – die perfekt Mutter. Das ist beruhigend, denn Patentlösungen in puncto Erziehung und harmonischem Familienleben sind Mangelware. Die Journalistin Anke Schipp möchte, hin- und hergerissen zwischen all den Möglichkeiten seinem Kind etwas Gutes zu tun, alles richtig machen. Ihrer Meinung nach benötigt ihre fünfjährige Sofie jeden Tag frische Luft, zucker- und fettarmes Essen, möglichst Bio, wenig Beschallung durch Medien oder nervige Nintendos, natürlich die richtigen Freunde und sehr viel Aufmerksamkeit. Prima, und trotzdem nerven Kinder mit ihrer fordernden Art, stehen immer in der Nacht vorm Bett, wenn man gerade so schön träumt und schalten auf Durchgang, wenn Mama etwas will. Und dann muss er sein, meint Anke Schipp, der laute Bootcamp-Ton. „Sorry, Jesper Juul!“
Anke Schipp erzählt in ihrem kurzweilig, wie unterhaltsam geschriebenen Buch vom Lebensalltag einer Kleinfamilie in Frankfurt a.M..Hier beschäftigt bereits im Winter die Mutterrunde auf dem Spielplatz, was man in den Sommerferien unternehmen sollte.\nFamilie Schipp beschließt ihrem finanziellen Budget entsprechend, für 15 Tage an der Nordsee ein Häuschen zu mieten. Was nun auf dieser Reise alles schief gehen kann, geschieht auch. Sofie vermisst bereits kurz nach Antritt der Fahrt ihren Schlafhasen Bärli, ein Stau verzögert die Ankunft und die einfache, um nicht zu sagen geschmacklose Einrichtung des Hauses am Meer vermiest der Autorin sofort die gute Ferienlaune. Ironisch und vor allem sehr realistisch greift Anke Schipp alles auf, womit heutzutage Mädchen in Sofies Alter konfrontiert werden. Da können die Eltern nicht dagegenhalten, wenn nun mal „Lauras Stern“ oder die unsägliche „Conni“-Serie des Carlsen Verlages mit der Überfamilie zum Lieblingshörbuch der Tochter avanciert ist.
An die vor Redseligkeit sprudelnde Gelsenkirchner Familie Schmittke gewöhnt sich letztendlich auch die Autorin und eigentlich frönt sie mit herrlicher Offenheit genau so wie die bunte Tanja Schmittke dem seichten Unterhaltungskram, ob nun im Fernsehprogramm oder in buntenZeitschriften. Immerhin erwartet sie, als Sofie jämmerlich über Ohrenschmerzen klagt, einen jungen Landarzt wie Wayne Carpendale und Heidi Klum und Konsorten scheinen ihr offenbar auch nicht fremd zu sein. Erhaben und vor allem überlegen fühlt sich die Autorin ihrer neuen Urlaubsbekanntschaft gegenüber aber trotzdem. Die Männer sind da irgendwie unkomplizierter. Sie reden über Fußball, trinken Bier und genießen die freie Zeit.
Beim Lesen tritt natürlich der Effekt ein, mit dem die Autorin rechnet. Auf die eine oder andere Weise erkennt sich die Leserin mit Familie in der erzählenden Hauptfigur wieder und Schadenfreude, ist ja bekanntlich die schönste Freude. Männer werden wohl kaum zu diesem Buch greifen. Amüsiert beobachtet man den Kontrollzwang, den auch Mutter Schipp nicht ablegen kann. Wie ein Adler kreist sie um ihre Brut und will, dass alles gut funktioniert und die Zeit sinnvoll genutzt wird. Die obligatorischen Dosen, die geschältes Obst oder Gemüse enthalten, immer griffbereit dabei und bereit mit keinem noch so guten Ratschlag hinterm Berg zu halten. Ihr Einfallsreichtum und ihre Kreativität in noch so verzwickten Situationen werden jedoch nie gewürdigt. Sie selbst schafft es nicht ihren brutalen Schwedenkrimi auszulesen und ob sie erholt von diesen Ferien zurückkehrt, ist auch nicht gewiss.
Herrlich lebensnah sind die Kleinkriegsschauplätze, die sich gerade im Urlaub zwischen der Autorin und ihrem Mann Rainer immer wieder Bahn brechen, ob es nun um die Fahrkünste der Erzählerin geht oder die immer gleichen Erwartungen und Enttäuschungen, die in einer Ehe einfach nicht zu vermeiden sind.
Unterm Strich sind viele Konflikte, hat das Kind jetzt eigentlich die ganze Zeit nur Pommes gegessen und Fanta getrunken, warum plaudert Rainer gern mit anderen Leuten, wenn Anke bereits auf dem Sprung ist oder warum geht es der verwöhnten Vanessa mit Au-pair-Mädchen einfach so viel besser, nur Luxus-Probleme, nichts Existentielles; ein guter Grund dieses Buch zu lesen und an den Beobachtungen, aber auch vermeintlichen Schwächen der Autorin interessiert teilzuhaben.
Und auf keinen Fall stimmt der reißerische Titel mit dem Panikwort „Chaosfamilie“. Anke Schipps Familie erscheint relativ normal, um nicht zu sagen, stinknormal.
Alles wird sicher noch viel aufregender und Nerven aufreibender, in dem Moment, wenn das Kind in die Pubertät kommt. Viel Spaß und sicher auch Stoff für ein weiteres Buch!
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