Sarah Bestgen: Safe Space . Der sicherste Ort eine tödliche Falle, Lübbe Verlag, Köln 2025, 399 Seiten, €17,00, 978-3-7577-0156-7

„Ausnahmslos jeder würde mich für völlig verrückt erklären. Selbst ich erkläre mich für verrückt. Weil es völlig verrückt ist. Und doch die einzige Chance, die mir noch bleibt. Ein Chance, von der vielleicht, womöglich, hoffentlich sogar, zwei Leben abhängen. Auch wenn diese Chance noch so klein ist.“

Die zierliche Anna Solomon lässt sich nach mehreren Praktika und ihrem Studium der Psychologie in der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt Weyer unweit von Köln anstellen. Warum die fünfundzwanzigjährige Blondine mit gefährlichen Intensivtätern wie Mördern, Sexualstraftätern oder Menschenhändlern arbeiten will, bleibt nicht lang ein Geheimnis. Von Anfang an wabert eine seltsame Untergangsstimmung zwischen den Zeilen und es scheint so zu sein, als würde Anna auf ihrer neuen Arbeitsstelle nicht überleben. Doch warum geht sie dieses Risiko ein? Und wird eine unerfahrene Berufsanfängerin wirklich mit unberechenbaren Gefangenen, die mit allen Wassern gewaschen sind, konfrontiert?
Zum einen erzählt Anna Solomon aus der Ich – Perspektive von ihrem Privat- wie Berufsleben, zum anderen erfahren die Lesenden von Leon aus der personalen Erzählperspektive und sie lesen die Tagebuchaufzeichnungen von Sina. Leon lernt die für ihn traumhaft reizvolle Sina durch seinen Versicherungsjob kennen. Ihr Freund Suma, ein aggressiver und bulliger Typ, spielt sich ziemlich auf und Leon versucht zu vermitteln. Angeblich per Zufall laufen sich Leon und Sina über den Weg und Leon gewinnt ihr Vertrauen, denn die Beziehung zwischen Sina und Suma ist mehr als toxisch. Immer wieder taucht auch der gut gekleidete Sonny, der Freund von Suma, auf. In Erinnerungsschüben, getriggert auch durch Sumas brutales Verhalten, kehrt Leon gedanklich immer wieder in seine schwierige Kindheit zurück. Sein Vater hat ihn mit seinen Ansprüchen gequält und geschlagen. Die Mutter vergrub sich in ihrer Alkoholsucht und auch sie wird vom Ehemann verprügelt. Es stellt sich dann heraus, dass Sina die Schwester von Anna Solomon ist und beide nach dem Tod der Mutter nicht mehr zueinander gefunden haben. Dass Sina vor sechs Jahren brutal ermordet wurde, überschattet Annas Alltag. Ihr Freund Jonathan kennt Annas innere Kämpfe und Alpträume. Zwar fand man gut zwei Liter Blut von Sina, die in den Teppich der Wohnung eingesickert sind, aber nie ihren Körper. In Verdacht gerieten natürlich Suma, Leon und Sonny, doch nach und nach stellte die Polizei ihre Ermittlungen ein. Anna ist nun fest davon überzeugt, dass nur Sonny, der offenbar einen anderen Namen benutzt, der Mörder sein kann. Allerdings, und hier hinkt die gesamte Geschichte, hielt er sich angeblich zum Zeitpunkt des Mordes im Gefängnis auf.
Anna jedenfalls lernt ihre Kollegen in der JVA kennen und beginnt mit verschiedenen Inhaftierten Gespräche und muss dabei feststellen, dass ihr Racheplan kaum durchführbar ist. Als sie dann allerdings Drohbriefe in der gut gesicherten JVA erhält, siegt ihr Kampfgeist. Anna glaubt, dass Sonny hinter allem steckt. Doch wie soll sie ihn finden und wie kann ein Gefangener in die Büros der Psychologen und Sozialarbeiter gelangen?
Zeitlich versetzt folgen die Lesenden im Handlungsverlauf nun Sina, die sich immer unsicherer in ihrer Wohnung fühlt und eine unerklärliche Bedrohung spürt, dann Anna, deren zugeteilte Häftlinge einen Suizidversuch und einen Suizid begehen und Leon, der von seiner grausigen Erziehung zum Psychopathen erzählt.
Geschickt führt Sarah Bestgen die Lesenden immer wieder in die falsche Richtung und schafft gerade in den Sitzungen mit den Gefangenen trotz Sicherheitsnetz und Notsignalgerät für Anna eine unheimliche Atmosphäre. Annas Nervenkostüm ist mehr als angespannt, denn irgendjemand spielt mit ihr ein perfides Spiel, bei dem nur einer gewinnen kann.
Sarah Bestgen hat einen spannenden Thriller geschrieben, der allein durch das Setting schon fesselt und doch steht die Frage im Raum, warum die junge Hauptfigur ihr gesamtes Denken bis hin zur Berufswahl, ohne den Lebenspartner einzubeziehen, sich auf ihre getötete Schwester, mit der sie ja eigentlich keinen Kontakt mehr wollte, fokussiert.
Dieser Roman ist nichts für schwache Nerven!