Ellen Sandberg: Rauhnächte, Penguin Verlag, München 2025, 352 Seiten, €22,00, 978-3-328-60437-2

„Gab es irgendwas, das er nicht wusste?, fragte sich Pia. Es irritierte sie, dass Ansgar Informationen über sie besaß, von denen sie selbst erst vor Kurzem erfahren hatte, und das mehr oder weniger durch Zufall. Vermutlich war er nicht der Einzige, und halb Galsterried kannte ihre Geschichte.“

Pia Winter mit ihren fuchsroten Haaren ist eher eine unauffällig, wie in sich gekehrte junge Frau. Die Einundzwanzigjährige kann sich nicht entscheiden, wie es in ihrem Leben beruflich weitergehen soll. Sie absolviert ein Jahr im Bundesfreiwilligendienst und schwankt doch unentschlossen zwischen zwei Studienrichtungen, entweder Sozialpädagogik oder Kunstwissenschaften. Mit ihren Eltern lebt sie in Bayern und kommuniziert täglich auch an den Weihnachtstagen mit ihrer Freundin Tami. Wie immer hat ihre Mutter Kathrin alles perfekt organisiert. Und doch herrscht in der Familie eine seltsame Spannung, denn Vater Paul zieht sich zum Kirchenbesuch nicht festlich an und scheint auch sonst kaum anwesend zu sein. Pias kühle Mutter überspielt dieses Verhalten, fordert aber wie immer Pias kritiklose Anpassung an ihre Erwartungen. Immer wieder spürt die eingeschüchterte Pia diese Fremdheit in der Familie, diese Lieblosigkeit und passive Ablehnung.
Doch dann bricht ausgerechnet an den Weihnachtsfeiertagen ein Sturm in der Kleinfamilie los und nichts wird nach diesen Tagen mehr so sein, wie es einst war. Paul beichtet seine Liebesbeziehung mit seiner Kollegin Simone, die auch noch schwanger von ihm ist und Pia, aufgeschreckt durch das Belauschen eines heftigen Gesprächs zwischen den Eltern, sucht ihre Geburtsurkunde und entdeckt, dass sie mit vier Jahren adoptiert wurde.
Ellen Sandberg erzählt ihren Roman zeitlich versetzt. Zum einen handelt die Geschichte von Pias neuem Blick auf ihr Leben, zum anderen schaut die Autorin ins Jahr 1997 zurück und eröffnet den Lesenden Einblicke in die letzten Tage der leiblichen Mutter von Pia, Sonja, der Schwester von Kathrin. Dem Kind Pia wurde immer erzählt, dass Sonja durch einen Autounfall ums Leben kam. In Pias Geburtsurkunde steht, dass der Vater unbekannt ist. Sonja hatte sich mit fünfunddreißig Jahren entschieden, endlich Mutter zu werden. Sie hatte auf dem geerbten Bauernhof in Galsterrid am Inn ein Meditationszentrum aufgebaut, das von der Dorfgemeinschaft eher misstrauisch beäugt wurde. Da auch Sonja rotes Haar hatte und ihre Urururgroßmutter angeblich eine Hexe war, kursierten eigenartige Gerüchte über die attraktive Frau.
Pia jedenfalls nutzt die freien Tage nun, um dem häuslichen Unfrieden und dem Auszug ihres Vaters zu entkommen und trotz Schüchternheit, nach ihrem leiblichen Vater zu suchen. Als sie gleich bei ihrer Ankunft vom einstigen Kindergartenfreund Ansgar empfangen wird, schwinden ihre Bedenken. Was Pia dann allerdings aufdecken wird, hätte sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können.

Leider ist die Geschichte um die zurückhaltende Pia, die im Laufe der Handlung endlich zu sich selbst findet und gegen ihre dominante Mutter Kathrin auflehnt, ziemlich vorhersehbar. Der Hexenglaube und die Geisterbeschwörungen in den Rauhnächten von Weihnachten bis zum sechsten Januar beleben Pias Suche nach der eigenen Vergangenheit und die Aufdeckung der wahren Geschehnisse vor dreiundzwanzig Jahren.