Sabine Weiss: Die Chemie des Verbrechens . Die Fährte, Lübbe Verlag, Köln 2025, 445 Seiten, €16,00, 978-3-7577-0150-5
„Anspannt bis in die Haarspitzen öffnete May den Briefumschlag. Die Staatsanwaltschaft bewertete das Geschehen als Mord in Tateinheit mit Vergewaltigung in einem besonderen schweren Fall. Zudem sah sie die Merkmale der Heimtücke und der Verdeckungsabsicht als erfüllt an.
May hieb auf den Tisch. Das war ein Skandal!“
Kein Krimi mehr ohne DNA-Spuren, nach denen gesucht wird, und wenn die Handlung sich um alte ungelöste Fälle dreht, dann hofft man auf Fortschritte und neue Erkenntnisse insbesondere bei den DNA-Abgleichen. Dass diese nie so präzise sind, wie es den Krimifans oftmals vermittelt wird, versucht Sabine Weiss in ihrem aktuellen Buch detailliert klarzustellen.
So rückt die norddeutsche Autorin Dr. May Barven, eine erfahrene, forensische Kriminologin und Strafverteidigerin, die sich gerade in Hamburg selbstständig gemacht hat, ins Zentrum ihres absolut spannenden wie faktenreichen Krimis.
Durch Beharrlichkeit und Kenntnisse auf dem Gebiet der DNA – Forensik kann May das Mandat für den jungen, finanziell sehr gut dastehenden Unternehmer Ruben Rickleff übernehmen, dass ihr entweder bei Erfolg alle Türen öffnet oder bei Misserfolg ihre Karriere zumindest in Hamburg beendet. Der zweiunddreißigjährige Ruben Rickleff hatte bei Gründung seines Startups DNAStory seine persönlichen Daten eingegeben. Unglücklicherweise ergaben diese eine Teilüberschneidung in einer Ahnenforschungsdatenbank mit denen des nie entdeckten Täters, der 2007, d.h. vor achtzehn Jahren Ute Pusch in Carlsbrack brutal niedergestochen hat. Der ziemlich herrische, wie erfolgsverwöhnte Ruben wird sofort verhaftet und landet in Untersuchungshaft. May muss nun gemeinsam mit dem Privatdetektiv Tarek Loman, dessen Mitarbeit sie zu Beginn jedoch vehement ablehnt, Beweise sammeln, um die Unschuld ihres Mandanten zu beweisen. Viele Fragen müssen geklärt werden, denn der DNA-Abgleich auf dem alten Schal von Ute, den die trauernden Eltern ohne Wissen der Polizei an sich genommen hatten, könnte auch von einem anderen männlichen Familienmitglied sein. May stößt gerade in der Familie Rickleff, Rubens gefühlskalter Vater ist Inhaber einer Werft, auf Ablehnung, Standesdünkel und vor allem Geheimnisse, von denen die Öffentlichkeit nichts wissen soll. Die stark kritisierte Polizei rollt jedenfalls den Fall Ute Pusch wieder auf, zumal im Müll von Ruben eine alte Haarspange des Opfers gefunden wurde. Es stellt sich auch heraus, dass sich Ruben mit seinem Ruderverein zu dem Zeitpunkt des Mordes im Oktober in der Nähe des Tatortes aufhielt. Akribische Befragungen von Tarek und May, die dann doch als gut funktionierendes Duo zusammen arbeiten, decken vor und im Prozess auf, wie viele Beteiligte über ihr Alibi gelogen hatten und dass Rubens Vater endlich die Wahrheit über seinen weiteren, angeblich toten Sohn offenbaren muss. Allerdings ist dieser, Tarek wird ihn aufspüren, nicht der Täter. Dass May Barven gegen den sturen Richter mit überzeugenden Gutachtern und Fachkenntnis ihren Mandanten retten wird, kann verraten werden.
Im Detail zu auserzählt umkreist Sabine Weiss in ihrem Auftaktbank für die Krimi-Reihe um May Barven psychologisch und atmosphärisch genau ihre literarischen Figuren und deren berufliches wie privates Umfeld. Dass sie dann auch noch in kursiver Schrift gehalten die Geschehnisse rund um die Clique von Ute 2007 beschreibt, führt zu vielen Redundanzen und lässt dem Lesenden kaum Raum für eigene Gedanken oder Rückschlüsse.
Und doch, die temporeiche, multiperspektivisch erzählte Handlung mit immer neuen, unerwarteten Wendungen und all den informativen Passagen rund um die DNA und dem korrekten Umgang mit ihr ist ein gelungener Beginn. Und nachdem May am Ende sogar ihre Kanzlei eröffnen kann, sollte der zweite Band bald folgen.