Mathijs Deen: Die Lotsin, Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke, Mare Verlag, Hamburg 2025, 368 Seiten, €23,00, 978-3-86648-739-0

„Wieder sehen sie, wie sie sich umdreht, sich mit der Hand vor etwas schützen will. Sie ruft etwas, sagt etwas oder schnappt nach Luft. Xander betrachtet erneut angestrengt die Ränder des Bildes. ‚Was ist das?‘ Er zeigt auf einen Punkt im linken Bildrand. Es könnte das Ende eines Stocks sein, einer Stange, aber ebenso gut ein Bildfehler. ‚Der Lauf einer Waffe?’“

2017 in der Deutschen Bucht: Während einer gemeinsamen Übung der deutschen, niederländischen und dänischen Bundespolizei See, dem Zoll und weiteren Organisationen erreicht das Patrouillenschiff Bad Bramstedt einen Notruf vom Forschungsschiff Anthropocene. Die Wissenschaftlerin Dr. Iona Grimstedt-Tauber ist über Bord gegangen. Bevor dies publik wird, erfahren die Lesenden, dass die Amerikanerin auf einer Forschungsstation im Nordosten von Grönland gearbeitet hat und auch dort kurzzeitig gesucht wurde. Nach ihrem Telefonat mit der Mutter, die in Kiel Ionas vierjährige Tochter betreut, ist die offenbar depressive Wissenschaftlerin aufs Eis gelaufen. Nachdem sie unterkühlt aufgefunden wird, tritt sie ihre Heimreise auf der RV Anthropocene, dem Schiff, auf dem auch ihr Ehemann, der Norweger und 1. Offizier Torsten Grimstedt, seinen Dienst versieht. Er ist von der Anwesenheit seiner Frau nicht begeistert und würde am liebsten mit ihr sofort das Schiff verlassen. Doch Kapitän Gardiner kann auf den 1. Offizier nicht verzichten. Iona bezieht ihre eigene Kabine und sorgt dafür, dass sie kaum Kontakt zur Crew hat. Als der noch unerfahrene Ermittler Xander Rimbach auf dem Schiff ankommt, bemerkt er die eigenartige Stimmung an Bord. Torsten Grimstedt ist über die späte Suche nach seiner Frau äußerst verärgert. Auf dem Schiff halten sich auch Wissenschaftler auf, die angeblich kaum mit Iona gesprochen haben. Der verunsicherte Xander bittet Liewe Cupido um Rat.
Nach und nach wird deutlich, dass Ionas wissenschaftliche Erkenntnisse als Klimahistorikerin, die mit dem Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes befasst ist, nicht bei allen auf Wohlwollen stößt. So wird sie in den Sozialen Medien insbesondere durch eine Person, die sich Arpoi nennt, frontal angegriffen und beleidigt. Als dann die Lotsin Anne Kat trotz Sturm auf das Forschungsschiff geholt wird, vermehren sich die Anhaltspunkte, die gegen ein Unglück sprechen. Matrose Andrej übergibt der Lotsin heimlich eine Schachtel, die diese dann an Cupido weiterleitet. In der Schachtel befindet sich eine Kamera, die die Geschehnisse auf Deck aufgezeichnet hat. Als dann auch noch der abgetrennte Kopf und der Fuß von Iona in einem Fischernetz auftauchen, wird deutlich, jemand hat ihr etwas angetan. Doch was steckt hinter Ionas E-Mails an eine einstige Freundin, mit der sie studiert hat und was entdecken Xander und Cupido als sie erneut auf dem Forschungsschiff ihre Befragungen durchführen?
Die Grundstimmung des Romans, der im Herbst spielt, ist durchgängig melancholisch, getragen von Trauer und Schweigen. Cupidos Mutter wird sterben, die Wissenschaftlerin, die nie ein Kind wollte, schaut mehr als skeptisch in die Zukunft des Planeten und offenbar ist auch ihre Ehe nicht glücklich. Cupido ärgert sich über Xander und dieser zweifelt immer mehr an seinen eigenen Fähigkeiten und leistet doch auch gute Arbeit.
Mathijs Deen hat einen sprachlich, aber auch dramaturgisch sehr eleganten Roman geschrieben. Wie an feinen Fäden zieht der Autor uns Leserinnen und Leser immer tiefer hinein in eine dunkle Geschichte, verkompliziert durch wissenschaftlich bedrückende Erkenntnisse und schwierige Charaktere.

Die Besprechung des ersten Bandes in diesem Literaturblog: http://karinhahnrezensionen.com/lese24/mathijs-deen-der-retter/ ).