Sara Strömberg: Unter der Erde, Aus dem Schwedischen von Leena Fleger, Blanvalet Verlag, München 2025, 464 Seiten, €17,00, 978-3-7645-0862-3

„Der Fall Jonte war ein Mysterium. Eine Person saß wegen Mordverdachts, wahlweise Verdachts auf Totschlag, in U-Haft, während eine weitere Person gestanden hatte, dass sie und ihr Ehemann Jonte mit dem Schneemobil überfahren hatten. Doch kein Mensch konnte zweimal sterben.“

Diese Gedanken schwirren durch Vera Bergströms Kopf, als nach gut einem Jahr die Leiche des verschwundenen Jonte Andersson gefunden wird. Nach tagelangem Regen kann die achtundfünfzigjährige Journalistin gerade so ihr Auto vor einem riesigen Erdrutsch stoppen. Ein Mensch wird durch die Katastrophe getötet, aber auch die Leiche von Jonte im Erdkeller entdeckt. Der vierundzwanzigjährige Musiker und Schafzüchter Jonte wurde am schmerzlichsten von seiner Stiefschwester Stina vermisst. Nun hat sie endlich Gewissheit und neue Fragen quälen sie: Wer hat ihren Bruder getötet und vor allem warum? Seltsamerweise tauchte noch vor dem Erdrutsch im 600 Kilometer entfernten Stockholm das Armband von Jonte auf, was die Theorie der Polizei bekräftigte, dass der DJ Åre im Winter verlassen hatte.
Im Mittelpunkt des Kriminalromans steht die Ich-Erzählerin Vera Bergström und ihre Arbeit für die Zeitung Jämtlandsposten. Der polizeiliche Ermittler Pontus Selin ist nur eine Randfigur, denn Vera gelangt durch ihre Beharrlichkeit, Lebenserfahrung, ihre unverblümten Gespräche, intensiven Recherchen ohne jegliche Sensationsgier viel eher an wichtige Informationen, die sie allerdings der Polizei nicht immer vorenthält.
Erzählt wird die Geschichte, die im Jämtland, in Mittelschweden an der norwegischen Grenze, in einem herrlichen Skigebiet spielt, aus drei Perspektiven. Zum einen geht es um Veras Arbeits- und ungesundes wie unsportliches Singleleben, dem sie gern eine Ende setzen würde, zum anderen wird jeweils aus der personalen Perspektive von Stina Bylund und ihrem Dasein auf dem Bauernhof mit ihrem leicht cholerischen Ehemann Martin und ihrem gutmütigen, aber nicht für die Landwirtschaft geeigneten Onkel Henning berichtet. Und die Lesenden gewinnen einen Einblick in den Alltag des egozentrischen Fernsehmoderators Claes af Sandeberg und seiner vor dem Ende stehenden Ehe mit Vicky, einer einst sehr bekannten Popsängerin. Dass diese beiden Städter mit dem Tod von Jonte zu haben, ist von Anfang an klar. Parallel zu Jontes Fall, der Vera intensiv beschäftigt, dreht sich die Handlung auch um die zunehmende Erschließung von Bauland rund um die Region um Åre und den Missmut der Einheimischen, die von der Touristenschwemme und den Besitzern der pompösen Ferienhäuser nicht begeistert sind. Es geht um Korruption, den Missbrauch von politischen Ämtern und der Gier der Investoren. Auf der anderen Seite schuftet sich Martin am Existenzminimum lebend auf seinem Hof ab und muss feststellen, dass die Ferienhäuser immer enger an sein Land rücken. Außerdem scheint sich jemand auf den Wiesen herumzutreiben, ein Lamm wurde bereits getötet. Martin hatte Jonte, auf den nie Verlass war, kurz vor seinem Verschwinden auch ziemlich verprügelt, weil durch seine Unachtsamkeit zwei Lämmer zu Tode kamen.
Als Claes af Sandeberg dann mit seiner Frau Vicky und den Kindern bei der Mutter im Skigebiet Urlaub macht und von dem Fund der Leiche erfährt, brechen alle Dämme. Vera erkennt, dass Claes in Stockholm genau da wohnt, wo das Armband gefunden wurde und Vicky gesteht in einem schwachen Moment, Claes ist so stark alkoholisiert, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden muss, dass beide mit einem Schneepflug den Tod von Jonte verursacht hatten. Nur wer hat auf ihn geschossen? In seiner Wirbelsäule steckt eine Kugel von einer Pistole.
Kompliziert ist dieser spannende Fall und vor allem erzählt Sara Strömberg ausführlichst und psychologisch genau vom Leben aller handelnden Figuren, deren Gefühlskälte und Egoismus zum Teil wirklich kaum zu ertragen ist. Dadurch dass die Polizeiarbeit nicht im Zentrum steht, kann nur Vera Licht ins Dunkel bringen und auch ihre Mittel sind begrenzt. So schauen die Lesenden in unterschiedliche Milieus der schwedischen Gesellschaft und erkennen, dass nicht nur Spanien oder Italien, sondern auch Schweden vor existentiellen Problemen steht.
( In diesem Literaturblog ist auch die Besprechung zum ersten Band „Im Unterholz“ erschienen.)