Johanna Swanberg: Sommer ohne Plan, Aus dem Schwedischen von Nina Hoyer, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2025, 413 Seiten, €25,00, 978-3-455-01928-5

„Das Häuschen nimmt sie freundlich auf. Aber sie selbst besteht nur noch aus Angst. Scham. Selbstverachtung. Was treibt sie hier bloß? Für wen hält sie sich? Das ist alles so entsetzlich peinlich!“

Cathrin Ekman, die alle Cassi nennen, scheint an einem Tiefpunkt in ihrem Leben angekommen zu sein. Als treuer Begleiter ist ihr Hund Maine an ihrer Seite, doch alle Kontakte zu Freunden oder Freundinnen von früher hat Cassi kategorisch abgebrochen. Sie füllt in einem Supermarkt die Regale auf und ernährt sich in ihrer Kellerwohnung zur Untermiete, als wäre dies eine Bestrafung, von irgendwelchen Fastfood-Produkten. Die Siebenunddreißigjährige trinkt zu viel Rotwein aus Kartons und sie würde am liebsten irgendwohin verschwinden. Doch was ist ihr geschehen? Warum hat sie mit dieser Radikalität ihr bisheriges Leben auf den Kopf gestellt? Dabei hat sie sich mit all ihrer Kraft und ihrem Perfektionsdrang in ihrem Beruf über Jahre hochgearbeitet. Ohne Studium und Ausbildung hat sie es zur Leiterin eines der angesagtesten Restaurants in Stockholm gebracht.
Sie hatte alles: beruflichen Erfolg, eine schicke Wohnung, teure Klamotten, einen großen Freundeskreis und einen Verlobten. Und nun dieser Absturz.
Über eine lange Strecke lässt Johanna Swanberg die Lesenden im Ungewissen darüber, warum Cassi sich selbst so kasteit. In Rückblicken, erzählt wird aus der personalen Perspektive, offenbart Cassi einiges aus ihrer Biografie. Von der Mutter, einem einstigen Model, dass zu früh schwanger geworden ist, erzogen, muss Cassie sehr schnell erwachsen werden. Auch die über die Jahre dickleibig gewordene Mutter ertränkt all ihre Enttäuschungen im Alkohol und stirbt recht früh.
Da Cassi aus ihrer Wohnung ausziehen muss, kauft sie ein sehr heruntergekommenes Sommerhaus nahe eines Waldes gelegen in Bäcken. Zwar hat sie keine Ahnung, wie man so ein Haus renoviert oder repariert, doch ihre Sehnsucht nach Ruhe und Einsamkeit bildet den Ausschlag für die Geldausgabe. Nach und nach lernt Cassi ihre Nachbarschaft kennen und durch den unbedarften Makler verbreitet sich ohne Cassis Zutun die Nachricht, dass sie angeblich die Scheune des Anwesens als Therapieraum nutzen könnte. Doch was soll sie sein? Schamanin? Yogalehrerin? Esoterikerin? Überrumpelt oder vielleicht auch aus Geldmangel lässt sich Cassis, auch mit schlechtem Gewissen, auf die Bitten der Nachbarn ein und beginnt ganz unverfängliche, sehr persönliche Gespräche mit ihnen, um als lebenserfahrene Person zu helfen. Denn Cassi, auch wenn es nicht so scheint, hat sehr viel Energie, aber auch Organisationstalent und das entsprechende Vokabular, das ja oft Kalendersprüchen gleicht. Die Yogaübungen denkt sie sich einfach selbst aus. Nur Hans vom Mini-Markt ist skeptisch und zweifelt alles an, was Cassi letztendlich, immer auch in der Angst erkannt zu werden, dann auch in den sozialen Medien anbietet.
Als Cassi sich mit ihrem alten Nachbarn Pavel anfreundet, entspannt sie sich langsam. Sie erfährt von seinen Geheimnissen und er von ihren. Dieses beidseitige Vertrauen wird nie gebrochen
und diese Szenen im Roman rühren, ohne sentimental zu sein. Cassi befindet sich, auch bei ihrer Suche nach sich selbst, an ihrem neuen Wohn- wie Arbeitsort immer auf Messers Schneide. Nichts schadet den Dorfleuten, die zu ihr kommen und doch weiß Cassi, dass sie mit ihren schwammigen Begriffen etwas vorgibt zu sein, was sie nicht ist. Oder ist es einfach auch der Zeitgeist, der allen vorgaukelt, alles müsse ganzheitlich oder in Englisch ausgedrückt noch wichtiger als wichtig sein, wie Live-Work-Balance oder Me-Time.
Cassi wird in diesem schwedischen Sommer auch mit Verlusten ihre Lebenskrise überwinden und irgendwann Farbe bekennen müssen. Das liest sich wunderbar leicht, denn schnell schlagen sich die Lesenden auf Cassis Seite und verstehen, warum sie so handelt.
Absolut lesenswert!