Martin Suter: Wut und Liebe, Diogenes Verlag, Zürich 2025, 304 Seiten, €26,00, 978-3-257-07333-1

„Betty und Noah saßen am großen Fenster, dessen Vorhänge noch nicht zugezogen waren, ein Teekrug und zwei Tassen zwischen ihnen. Noah hatte ihr von Camillas Pleite und seiner aufgeflogenen Lügengeschichte über Gebert und Lüthi erzählt.
‚Ihr habt euch beide etwas vorgemacht. Man will gut dastehen voreinander. In der Liebe ist die Lüge ein Liebesbeweis. Die Wahrheit ist für die vorbehalten, die einem egal sind.’“

Was will ich in meinem Leben erreichen? Welche Chancen muss ich nutzen, um nicht am Ende mit Nichts dazustehen? Die attraktive, einunddreißigjährige Camilla hat sich entschieden. Sie liebt zwar Noah, den Künstler, der mit seinen Bildern kaum Geld verdient, doch sie will nicht ihrer verhassten Brotarbeit als Buchhalterin nachgehen, damit ihr Partner, das machen kann, wozu er Lust hat. Würde Noah einen Job annehmen, würden auch er nicht froh werden. Camilla jedenfalls ist auf der Suche nach einer seriösen Beziehung zu einem Mann, bei dem sie nicht ständig an Geld denken muss. Noah ist verzweifelt und hofft auf den Verkauf seiner Bilder durch den Galeristen Max Steiner, der auch noch sechzig Prozent bei jedem Deal einstreicht.
Camilla und Noah jedenfalls decken den Part der Liebe ab. Die Wut verbreitet eine weitere Protagonistin. Die fünfundsechzigjährige, ziemlich extrovertierte Betty Hasler lernt den depressiven Noah in einer Bar kennen. Beide trinken ihre Mojitos und erzählen sich ihren Kummer. Betty hat ihren Mann vor drei Jahren verloren, denn ihr nachgiebiger Patrick hat sich für die Firma von Peter W. Zaugg, in der er Teilhaber war, zu Tode geschuftet. Nach dem dritten Herzinfarkt war dann Schluss. Mit ihrer Wut auf den Nichtskönner Zaugg, der auch noch Kunstsammler ist, steckt sie Noah an und schwingt sich sogar zu der Behauptung auf, dass sie demjenigen eine Million Franken geben würde, der Zaugg aus der Welt schafft. Ein spannender Auftakt allemal.
Doch dann folgen lange Gespräche und Versprechungen in teuren Restaurants mit einem Freund von Noah, der es als Künstler geschafft hat und sich gegen Noahs experimentelle Arbeiten, die alle Camilla zeigen, wendet. Noah, der auch noch ein exzellenter Schütze ist, besorgt sich ein Präzisionsgewehr bei seinem unsympathischen Vater und beginnt, Zaugg zu beobachten. Camilla hat ohne Probleme ihren Traummann gefunden und wohnt auch schon bei Carl in seiner langweilig eingerichteten Villa aus den 1960er Jahren. Carl hat auch dem Start up von Camilla und ihrer Freundin Liz eine Finanzspritze zukommen lassen. Doch immer wenn es gerade spannend werden könnte, fließen Passagen ein, die vom zentralen Geschehen ablenken. Camillas Stiefvater hat einen Schlaganfall und Noah wird ständig beim Anlegen seines Gewehrs, um Zaugg auf seiner Joggingstrecke zu erschießen, von einem kläffenden Hund abgelenkt. Carl hat Camilla verschwiegen, dass er noch verheiratet ist und Liz führt das gemeinsame geschäftliche Unternehmen gnadenlos in den Konkurs. Ein Grund für Camilla zu Noah zurückzukehren, und die Zaugg – Geschichte neu zu beleben.
Doch auch hinter den Geschäftsgebaren des braven Patrick, den Betty auch über den Tod hinaus rächen will, steckt ein fataler Betrug.

Schein und Sein, Kunst und Geld, das sind die Lieblingsthemen von Martin Suter, und diese spielen auch auch in seiner wie immer glänzend wie unterhaltsam geschriebenen Handlung die Hauptrolle. Allerdings kommt man den einzelnen literarischen Figuren, auch in ihrer Verzweiflung, nicht nahe, wird nicht berührt von deren Schicksal und folgt ihnen auf ihren verschlungenen Wegen eher mit Gleichgültigkeit. Martin Suter, der Autor, der sich auch selbst bestens vermarktet, schreibt mal wirklich exzellente Romane, wie z.B. „Melody“ oder „Die dunkle Seite des Mondes“ und dann wieder nur unterhaltsame, aber doch oberflächliche wie verzichtbare Fingerübungen.
Schade, wirklich!