Jodi Picoult, Jennifer Finney Boylan: Wildhonig, Aus dem Amerikanischen von Elfriede Peschel, C. Bertelsmann Verlag, München 2024, 560 Seiten, €18,00, 978-3-570-10420-0

„’Transmenschen werden in diesem Land immer wieder getötet. Und zwar nicht, weil sie ihre Identität für sich behalten haben. Sie werden umgebracht, weil ein anderer dahinterkommt. Und so unglaublich es klingt, an manchen Gerichten wird Homophobie – oder Transphobie – noch immer als Verteidigungsstrategie erlaubt, um das Morden zu rechtfertigen. Als wäre die Tötung eines anderen Menschen verständlicher, nur weil dieser transgender ist.’“

Zwei Frauen erzählen jeweils aus ihren Perspektiven von den dramatischen Geschehnissen in den Jahren 2018 und 2019. Es sind die achtundvierzigjährige Olivia McAfee und die achtzehnjährige Lily, die erst vor kurzem mit ihrer Mutter nach Adams in New Hampshire gezogen ist. Lily ist die Freundin von Olivias Sohn Asher. Beide Frauen, Olivia und Lily, haben auf ganz unterschiedliche Weise, was sich im Laufe der Handlung herausstellen wird, Gewalt von Männern erlebt. Olivia musste durch ihren Ehemann Braden, der als angesehener Herzchirurg arbeitet, jahrelang Demütigungen und Schläge hinnehmen. Lily erlebte gezielte Manipulation und auch körperliche Übergriffe durch ihren Vater. Um das Leben ihrer Tochter in vielerlei Hinsicht zu schützen, ist Lilys Mutter nach Adams gezogen und Olivia mit ihrem noch sehr kleinen Sohn hat ihren Mann in Boston verlassen und ist in ihr Elternhaus nach Adams zurückgekehrt, um sich hier um die Äpfel, Erdbeeren und die fünfzehn Bienenvölker zu kümmern, die ihr mit ihrem Honig sogar ein Einkommen bescheren. Nach außen hin kann alles friedlich und harmonisch aussehen, aber so Olivias und Lilys Erfahrungen, ist das Innenleben in Familien völlig anders. Asher sehnt sich nach seinem Vater, da seine Mutter ihm nie genau erklärt hat, warum die Familie nicht mehr vereint ist. Doch da Braden eine neue Familie hat, bleibt der Sohn außen vor. Lily hat behauptet, dass ihr Vater gestorben sei, um dies dann wieder zurückzunehmen. Ihre tiefen Krisen und einen Selbstmordversuch hatte sie am neuen Lebensmittelpunkt Adams versucht zu vergessen. Doch alles wird ganz anders kommen.
Als Asher, auch aus seiner eigenen Sehnsucht nach einem Vater, seiner Freundin eine große Freude zu Weihnachten bereiten möchte, gerät die Beziehung der beiden in eine Schieflage. Asher möchte, sicher auch aus Unwissenheit, dass Lily ihren Vater trifft und organisiert eine Begegnung. Er weiß, dass Lily transgender ist. Er weiß nicht, welche unrühmliche, ja geradezu aggressive Rolle Lilys Vater bei diesem langen Erkenntnisprozess seiner Tochter gespielt hat.
Lily will nun Asher nicht mehr sehen, wird krank und igelt sich ein. Als Asher sich durchringt, zu ihrem Haus zu gehen, endlich mit ihr zu reden, findet er sie mit einer Kopfwunde tot am Boden der Treppe.
Asher wird vor Gericht gestellt und des Mordes an der jungen Frau beschuldigt. Olivia kann ihren Bruder Jordan als Verteidiger hinzuziehen.
Wie ein roter Faden ziehen sich alle möglichen Infos über das Verhalten der Bienen, auch der faulen Drohnen, durch diesen Seiten starken Roman. Faszinierend geradezu ist der Schwänzeltanz der Bienen, der das Wissen an den Stock weitergibt.

„In der Bienenwelt haben die Mädels das Sagen, und die Arbeiterbienen sind alle weiblich. Sie füttern die Babybienen, formen neue Zellen aus Bienenwachs, sammeln und lagern Nektar und Pollen ein, lassen Honig heranreifen, kühlen den Stock, wenn es drin zu heiß wird.“

Und so wollten Lilys Mutter und auch Olivia alles für ihre Nachkommen tun und sind ohne eigenes Verschulden gescheitert. Im Zuge der Gerichtsverhandlung wird jedes Detail in der Beziehung von Asher und Lily, deren Konflikte auch mal heftiger waren, auseinandergenommen. Ashers Mutter erinnert sich immer wieder an ihre verbalen wie gewaltsamen Zusammenstöße mit ihrem Ehemann. Sie hadert mit dem Gedanken, den sie kaum zulassen will, dass ihr Sohn doch mehr nach dem Vater kommen könnte als sie dachte.

Dieser Roman thematisiert in einer absolut aufwühlenden, wie spannenden, tieftraurigen wie berührenden Handlung das Schicksal einer jungen Transfrau. Aus Lilys Sicht geschildert, verstehen Lesende genau, was sie denkt, wie sie sich fühlt und was es heißt, gegen viele Widerstände bei sich wirklich anzukommen. Vom Seitenumfang etwas gekürzt könnte man diesen Roman auch gut jüngeren Lesenden empfehlen, denn er beantwortet vielleicht viele Fragen, die diese sich stellen, wenn es um Genderidentität geht.