Mathijs Deen: Der Retter, Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke, Mare Verlag, Hamburg 2024, 384 Seiten, €23,00, 978-3-86648-707-9
„Die beiden Rettungsmänner sehen alt aus, wie nicht mehr von dieser Welt, als würden sie in der Stille der Kirche bei ihrem toten Kameraden darauf warten, dass sie selbst an die Reihe kommen.“
Ostern, 2016: Eine Familie findet bei einem Ausflug an der Küste von Northumberland einen Schädel nebst Skelett und sie entdecken eine Schwimmweste mit der Aufschrift „Pollux“. Dieser deutsche Seeschlepper ist vor gut einundzwanzig Jahren bei Windstärke zehn in der Nacht nördlich der Düneninsel Rottumerplaat bei einem verheerenden Sturm in Seenot geraten. Zwei Seenotkreuzer gelangten zur „Pollux“, einer kam aus den Niederlanden, aus Ameland, der andere von der deutschen Seite, aus Norderney. Obwohl weit entfernt, lief die „Otto Schülke“ aus, als Michael Waagmann die Stimme des Kapitäns gehört hatte, der um Hilfe bat.
Wie auch in den Vorgängerbänden steht als Ermittler der Bundespolizei See, Liewe Cupido, im Mittelpunkt des Geschehens. Der wortkarge Hauptkommissar spricht Niederländisch und ist für seine unkonventionelle Polizeiarbeit nicht gerade beliebt, was ihn jedoch kaum kümmert. Eher mit dem ominösen Tod seines Vaters auf See beschäftigt, kümmert sich Cupido nicht sonderlich ernsthaft um den gefundenen Toten. Sein neuer junge Kollege aus Süddeutschland, Xaver Rimbach, beginnt nun ziemlich allein gelassen mit den ersten Befragungen auf Norderney. Mittlerweile hatte man herausgefunden, wer das unbekannte Skelett mit den extrem vielen Blessuren und einer offensichtlichen Schussverletzung in der Schulter sein könnte. Offenbar wurde bei der damaligen Rettungsaktion, bei der zwei Mannschaften beteiligt waren, der Kapitän Jacob Peiser nicht aus dem Wasser gezogen, obwohl alle davon ausgingen, dass er gerettet wurde. Gemeinsam mit Yildiz Deniz, einst aus Berlin in den Norden gezogen, nimmt er Kontakt zu den damaligen Seerettern auf. Seltsam ist, dass der religiöse Atte Germer, der Navigator des deutschen Seeretterschiffes, nicht mehr spricht und mit Zweigen jeden Tag einem Ritual folgt. Um die Identität des Toten aufzudecken, soll seine Tochter, Lotte Peiser, eine DNA – Probe abgeben. Doch dann muss Xander mit einer Vergiftung ins Krankenhaus gebracht werden, die er knapp überlebt. Letztendlich steht fest, dass der offenbar Ertrunkene der Kapitän der „Pollux“ ist, allerdings ist Lotte nicht seine Tochter. Auch auf der niederländischen Seite beginnen die Nachfragen. Die Seenotretter hatten sich dort auf die deutschen Helfer verlassen. Sie haben alle Seeleute gerettet und sogar noch den Koffer des Kapitäns. Peiser sollte dann von den Deutschen aufgenommen werden, was auf irgendeine Weise schief gelaufen sein muss.
Liewe Cupido beginnt nun, mit gewohnter Beharrlichkeit zu ermitteln, denn die Seeleute erweisen sich als hartnäckige Schweiger. Niemand redet schlecht über den anderen, auch wenn Fehler doch geschehen sein müssen. Doch was steckt wirklich hinter dem Tod des Jacob Peiser, der als Kapitän wohl nicht sonderlich beliebt war? Sogar seine einstige Ehefrau und Tochter wünschen keine Aufklärung der Geschehnisse in dieser Nacht.
In schnellen Szenenwechseln lässt Mathijs Deen die Lesenden die Arbeit der Seeretter und der Polizei verfolgen. Hatte man sogar den Seerettern ein Denkmal gesetzt, so sind diese damit überhaupt nicht einverstanden. Nach und nach wird deutlich, dass die Seenotretter der deutschen Seite ein Geheimnis haben und dass Germer sich für etwas die Schuld gibt, was ihm der manipulative Michael Waagmann eingeredet hat. Als Germer von dem toten Kapitän erfährt, nimmt er sich das Leben. Und als Liewe Cupido mit Xander herausfindet, dass sich die Seeleute, die an der Rettung beteiligt waren, bereits seit 1979 kennen, öffnet sich ein neues Fenster für die Ermittlungen.
Spannend und sprachlich überzeugend liest sich diese dramaturgisch gut gebaute Geschichte über eine Welt der Rettungsmänner, die für andere den Kopf hinhalten und auch nur Menschen sind.