Margherita Oggero: Der Duft von Erde und Zitronen, Aus dem Italienischen von Peter Klöss, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2012, 320 Seiten, €19,99, 978-3-421-04553-9

„Ich liebte es schon immer, durch die Gegend zu spazieren, auch wenn es schließlich mein Unglück wurde.“

Wie bei einer Kordel winden sich verschiedene Fäden zu einem Ganzen, auch in diesem Buch entsteht erst ein vollständiges Bild, wenn alle Erzählstränge, die nicht chronologisch erinnert werden, zu einer Handlung verschmelzen.

Am Beginn ist noch nicht ganz klar, wer die einsame Ich-Erzählerin ist, die bei ihrer wortkargen Extante Rosaria in Norditalien zu ihrem eigenen Schutz wie eine Gefangene gehalten wird. Was hat sie getan und warum muss die 13-Jährige sich verbergen?

Saverio und Assunta, beide leben mit ihren fast erwachsenen Söhnen in einem süditalienischen Dorf, noch unbeschattet vom Mafiaboss Don Raffaele. Als Assunta glaubt, in der Menopause angelangt zu sein, ist sie schwanger. Geboren wird ihre geliebte, wilde und unbelehrbare Tochter Carmelina.
Ebenfalls im Dorf wohnt die verbitterte und verarmte Familie Manconi. Sie ist der Schlüssel zur Verbindung zu Rosaria, die mit Ubaldo Manconi verheiratet war.

Um einen Strang der Kordel festzuzurren: das einsame Mädchen ist die Tochter von Carmelina, Immakulata. Bereits als 17-jährige heiratet die verwegene Carmelina, an deren Duft nach Zitronen und Erde Imma sich gern erinnert, einen verantwortungslosen Nichtsnutz. Er wird die Familie verlassen, Carmelina verfällt in eine Depression und stirbt bei einem Unfall, den die Schergen der Mafia verursachen.

Imma lebt fortan bei Oma Assunta, läuft gern durch die Umgebung des Dorfes und beschwört dadurch ihr Schicksal herauf.

Imma langweilt sich in der Wohnung der Extante, durchwühlt die Schränke und findet einen Schlüssel, der ihr ab und zu Freigang gewährt. Auf ihren heimlichen Wegen trifft sie immer wieder den jungen Buchhändler Paolo, der ihr nicht nur das „Tagebuch der Anne Frank“, auch ein Mädchen in Gefangenschaft, empfiehlt, sondern auch “Fahrenheit 451“ und „Oliver Twist“. Diese Bücher hellen Immas dunkle ellenlange Tage auf, öffnen die Fenster zur Welt und sie bewirken, dass Imma ihr Schicksal nicht so einfach annehmen wird.

Atmosphärisch dicht erzählt Margherita Oggero von Familien, die nicht mit dem skrupellosen Agieren der Camorra in Süditalien verbunden sind und trotzdem in ihre Strukturen und Handlungen schuldlos verwickelt werden. Offenen Auges läuft Imma in ihr Unglück, verstummt und muss ein traumatisches Erlebnis mit sich tragen. Als der Mörder vor ihr steht, schlägt sie zu.

Aber Imma wird einen Weg in die Freiheit finden, denn sie lässt sich nicht einschüchtern und schon gar nicht einsperren.