Lina Areklew: Schärensturm, Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann, Goldmann Verlag, München 2023, 528 Seiten, €12,00, 978-3-442-49242-8
„Manchmal fragte sich Fredric, ob es tatsächlich so war, dass sich Menschen mit empfindsamer Psyche aneinander festklammerten wie an Rettungsbojen, dabei war das Risiko zu ertrinken viel größer, wenn keiner von beiden schwimmen konnte. Waren Sofia und er sich deshalb so nahe gekommen?“
Tief verschneit unter einer dicken Schneedecke liegen die Schären im Februar und tief vereist ist die See. Wer würde da nicht am liebsten zu Hause auf dem Sofa sitzen und Tee trinken, insbesondere wenn ein Kind unterwegs ist. Sofia Hjortén, die gar nicht mehr damit gerechnet hatte, Mutter zu werden, hält es auch im neunten Monat nicht ohne Arbeit aus. Die neununddreißigjährige Ermittlerin wird von ihrem alten Nachbarn Tord umsorgt, aber auch vom Kindesvater Kaj Marklund, einem guten Profiler, allerdings verheiratet und gute zwanzig Jahre älter. Er und seine Frau Mette führen eine offene Ehe und so toleriert die kinderlose Mette auch die Beziehung zu Sofia und gibt der Schwangeren auch gerne gut Ratschläge, auf die Sofia liebend gern verzichten würde.
Ja, eine seltsame Konstellation, zumal Kaj und Sofia gar kein Paar mehr sind und Kaj neuerdings von „unserem“ Kind spricht und damit auch noch seine Frau Mette einbezieht.
Als dann aus dem Ferienhaus des Bauunternehmers Anders Svensson seine vierjährige Tochter Ellie verschwindet, trifft Sofia den Mann wieder, den sie wirklich geliebt hat, Fredrik Fröding. Doch durch viele Umstände haben die beiden sich aus den Augen verloren. Wie so oft in den schwedischen Krimis tragen alle Figuren schwere Lasten mit sich herum. Sofia hatte nie eine gute Beziehung zu ihrer französischen, alkoholabhängigen Mutter, die nach dem Tod des Ehemannes irgendwie verschwand und Sofia das Haus hinterlassen hat. Fredriks Eltern und sein Bruder sind beim Untergang der „Estonia“ ums Leben gekommen, da war Fredrik dreizehn Jahre alt. Er glaubt, dass sein kleiner Bruder vielleicht noch lebt. Bei einem Polizeieinsatz schwer verletzt, musste sich Fredrik erneut ins Leben zurückkämpfen. Dabei hat ihm Ida geholfen, die sich in ihn verliebt hat. Doch Fredriks Herz hängt noch an Sofia, auch wenn er das nicht zugeben will.
Als Fredriks Freund Philip, er leidet unter Agoraphobie und Autismus, zu Madeleine Svensson, Anders Tochter aus erster Ehe, eine Beziehung aufbaut, kommt es zum Streit. Philip fährt nach Sunnansjö, um Madeleine im Haus des Vaters Anders anzutreffen, doch das Haus ist leer.
Zu diesem Zeitpunkt haben die Lesenden bereits aus unterschiedlichen Perspektiven von Anders Svensson und seiner beruflich wie privat desaströsen Situation einiges erfahren. Auch Philips und Frediks Lebensumstände sind bekannt und natürlich Sofias Arbeitsumfeld.
Verschwunden sind nun nicht nur Ellie, sondern auch Madeleine. Und auch Amanda, die zweite anspruchsvolle Ehefrau von Anders und Mutter von Ellie, wird in die Fänge des Entführers geraten.
Mit übersichtlichem Personal ist dieser Whodunit – Krimi ausgestattet und trotz einiger Nebenhandlungen verlieren die Lesenden nie den Fall aus den Augen, zumal sich der Täter / die Täterin immer wieder in kursiven Passagen aus der Ich-Perspektive zu Worte meldet.
Durch die Ausflüge der schwedischen Autorin neben der Polizeiarbeit in die Privatsphären aller Beteiligten wird die Suche nach den Gründen der Entführung auch psychologisch unterfüttert.
Dass der rührige Kaj am Ende gar nicht der Vater von Sofias Kind ist, mag verraten werden.
Um so spannender wird hoffentlich der kommende neue Band über Sofia Hjortén von Lina Areklew, zurecht eine neue frische Stimme im Kanon der schwedischen Autoren.