Takis Würger: Unschuld, Penguin Verlag, München 2022, 296 Seiten, €22,00, 978-3-328-60168-5
„Molly antwortete nicht. Sie konnte nur eines denken: Die Klaustrophobie ihres Vaters war so stark gewesen, dass er früher kaum Häuser betreten konnte. Er wäre nie in einen Zementschacht gestiegen.“
Angeblich hat Florentin Carver, der Mörder des sechzehnjährigen Casper Rosendales, sein Opfer in einem Stollen versteckt, bevor er ihn erschossen hat. Doch warum sollte Mollys gutmütiger Vater einen Jugendlichen, den er auch noch gut kannte, töten? Zehn Jahre sitzt Carver nach seinem Geständnis nun im Hochsicherheitstrakt und in fünfunddreißig Tagen erwartet ihn die Giftspritze, die angeblich nicht weh tun soll. Tochter Molly kann das nicht akzeptieren und lässt sich als Hausmädchen bei der superreichen Rosendale Familie, nach der sogar der kleine Ort im Hudson Valley benannt ist, in dem auch Molly aufwuchs, anstellen.
Früh hat sich Mollys Mutter aus dem Staub gemacht und die Beziehung zwischen Vater und Tochter war sehr eng. Später kam Molly dann zu ihrem Onkel Mick, der mit der dreiundzwanzigjährigen Nichte nun in New York in einer kleinen Wohnung unter einer Bar lebt. Molly ist eine stille Frau, sie stottert und arbeitet mit dem Onkel als Reinigungskraft. Florentin Carver leidet an der Huntington-Krankheit, die unheilbar ist und schlimmstenfalls vererbt werden kann. Molly hat sich testen lassen, kann aber das Antwortschreiben nicht öffnen.
Mit Hilfe einer Zeitschrift und deren engagierter Herausgeberin schleicht sich Molly unter falschem Namen ins Haus der Rosendales. Allerdings wird sie sehr schnell vom Hausherrn, der der Nationalen Waffen-Vereinigung angehört, überführt und darf seltsamerweise nach Unterzeichnung eines Schreibens mit Verschwiegenheitsklauseln bleiben. Und Molly nutzt ihre Chance und versucht mit allen zu reden, die Caspar Rosendale kannten.
Aber auch Caspar kommt aus der Ich-Perspektive zu Wort. In der Schule wagt kein Lehrer ihn irgendwie herauszufordern und so bleibt der Junge immer unter dem Radar, fällt nicht auf und ist sehr ruhig. Als dann jedoch das unkonventionelle Mädchen Lou Livingston in die Klasse kommt, verliebt sich Caspar zum ersten Mal und freundet sich sogar mit Lou an. Beide planen ihre Flucht nach New Mexiko, wozu es nicht mehr kommt.
Molly lernt Joel, Caspars angeblich verrückten Bruder kennen, der sie, ob gewollt oder nicht, auf die richtige Spur setzt.
Wenn es etwas im Hause Rosendale im Überfluss gibt, dann sind das Medikamente und Waffen. Die achtsame Mutter von Caspar drängt Molly sogar eine Pistole zur eigenen Verteidigung auf. Tabletten hat Molly selbst genug.
In dieser eigenartigen Familie herrscht neben der Angst vor dem patriarchalen Vater sehr viel Einsamkeit. Keiner seiner Söhne konnte es dem alten Rosendale recht machen und die Mutter hatte nichts besseres zu tun, als ihre Kinder mit Medikamenten vollzupumpen, damit sie still sind.
Was für ein schreckliches Leben im Reichtum, in dem es weder Liebe, Zuneigung noch Verständnis gibt und nur der Wille zur Macht herrscht. Doch wer ist nun wirklich schuldig und warum hat der Vater die Schuld, wenn er es nicht getan hat, auf sich genommen?
Takis Würger, der nach seinem letzten Buch „Stella“ und dessen gnadenlosem Verriss durch die Presse, in die USA gegangen ist, hat vor Ort, auch wenn die Geschichte fiktiv ist, recherchiert.
Der Roman ist ein Abbild der gespaltenen USA, in der die einen sich von Tag zu Tag hangeln und die anderen ihren Reichtum vermehren, egal wie.