Garry Disher: Stunde der Flut, Aus dem Englischen von Peter Torberg, Unionsverlag, Zürich 2022, 336 Seiten, €24,00, 978-3-293-00584-6
„Ich trete auf der Stelle, dachte er. Doch Fays Bemerkung, seine Mutter könnte einen anderen gehabt haben, ließ sich nicht abschütteln, also beschloss er eines Samstags Anfang Januar, seine Ermittlungen über Rose‘ Leben und möglichen Tod wieder aufzunehmen. Es gab zwei Fragen: Wer war seine Mutter und was wusste Lambert? Wenn er ihn denn aufstöbern konnte.“
Schaut man sich die Bilder vom fernen Australien, insbesondere Swanage an, dann kommt man ins Träumen, von Sandstränden und wunderbaren Spaziergängen.
Die Hauptfigur in Garry Dishers Kriminalroman, Charlie Deravin, geht dann auch morgens schwimmen oder surfen. Er macht sich Gedanken über die Waldbrände und vor allem über das in China ausgebrochene Virus, denn Charlie hat Zeit. Er wurde vom Polizeidienst suspendiert, da er einen Vorgesetzten angegriffen hat. Ob Charlie sich beruflich verändern wird, bleibt offen. Mit dem Gedanken jedenfalls spielt er angesichts des Verhaltens seiner Kollegen. Da Charlie nun nicht mehr arbeiten darf, beginnt er, nicht unbemerkt von der Polizei, Menschen zu befragen, die nach fast zwanzig Jahren vielleicht doch noch Neues aus dem Leben seiner Mutter erzählen können. Rose und Rhys Deravin, Charlies Eltern, hatten sich getrennt. Das gemeinsame Haus stand zum Verkauf. Doch dann ist Rose nach einem Autounfall – wie vom Erdboden verschluckt – verschwunden. Zeitgleich suchte die Polizei damals nach einem neunjährigen Jungen, der, so die Annahme, wegen Hänseleien aus dem Camp weggelaufen und dann im Meer ertrunken ist. Weder von ihm noch von der Mutter ist je etwas aufgetaucht. Damals hatten Charlie und sein Bruder Liam den unliebsamen Untermieter der Mutter, Shane Lambert, auf die Straße gesetzt. Da er ein gutes Alibi hatte, er wurde kurzzeitig zur Tatzeit inhaftiert, hat die Polizei ihn nie mehr befragt. Charlie sucht nun diesen Lambert. Traurig ist, dass die Ermittler damals der Meinung waren, dass Charlies Vater schuldig sei. Nachweisen konnte man ihm nichts. Auch Liam glaubt, sein Vater hätte mit dem Verschwinden der Mutter etwas zu tun. Als dann zwei Skelette auftauchen, die mit der gleichen Methode getötet wurden und auch noch ca. zwanzig Jahre im Boden lagen, nimmt die Geschichte Fahrt auf.
Klar thematisiert Garry Disher die Auswüchse toxischer Männlichkeit in der Gegenwart und vor gut zwanzig Jahren. Dass auch Polizisten sich nicht ans Recht halten, ist nichts Neues. Erschütternd ist nur, dass bis zum heutigen Tag, ob Männer oder Frauen, niemand wirklich genau hinsehen will und Gewalt immer wieder Gegengewalt auslöst.
Garry Disher ist ein stilistisch guter Erzähler, denn seine Plots sind nicht übermäßig blutig und vor allem geht es um zwischenmenschliche Konflikte, die Lesende gut nachvollziehen können. Die ambivalenten Figuren überzeugen durch ihre Handlungen und sicher will man unbedingt wissen, was sich hinter dem Doppelmord verbirgt und wie es mit Charlie weitergeht.