Petra Johann – Der Buchhändler, Rütten & Loening Verlag bei Aufbau Verlage, Berlin 2022, 431 Seiten, €16,99, 978-3-352-00969-3
„Das ließ grob zwei Möglichkeiten übrig: Theresa hatte das Haus und Schönblick freiwillig verlassen, und ihr war irgendwo draußen etwas zugestoßen, vielleicht war sie das Zufallsopfer irgendeines Fremden geworden. Oder die Erklärung für ihr Verschwinden lag hier, in Schönblick, in ihrem Elternhaus oder vielleicht in einem der anderen Häuser dieser kleinen Gemeinschaft.“
Alles beginnt mit dem Zuzug des Buchhändlers Erik Lange nach Neukirchen, einem 10.000 Seelen Ort in Bayern. Irgendwie ahnen die Lesenden, dass sich der Vierunddreißigjährige mit der Mutter seiner fünfzehnjährigen Tochter Joelle nicht gut versteht. Erik übernimmt den Laden vom Eigentümer Brandl und die Ortsansässigen kaufen wieder Bücher nach guter Beratung. Erik fasst Fuß, wird Mitglied im Volleyballverein und hat sogar sein erstes ungewolltes Date mit Nora Vogt, der exaltierten Mutter der absolut nervigen neunjährigen Pauline. Sie wohnt Tür an Tür mit ihrer Freundin Theresa, dem wohl schönsten Mädchen, das Erik je gesehen hat. Gut neun Häuser mit großen Gärten am Rand eines Waldes umfasst der Ortsteil Schönblick. Aus diesem Ortsteil verschwindet an einem Samstagmorgen Theresa. Niemand hat sie gesehen und niemand kann wirklich hilfreiche Angaben machen.
Petra Johann erzählt mal aus der Sicht von Erik und dann wieder aus der personalen Erzählperspektive.
Die Suche übernimmt Kriminalhauptkommissarin Judith Plattner, die sich nach dem Suizid ihres neunzehnjährigen Sohnes, in den Innendienst versetzt wurde. Doch nun gibt es keine Wahl. An ihrer Seite ist die junge Kriminalkommissarin Pia Meyer, die endlich froh ist, einen richtigen Fall übernehmen zu dürfen. Ausführlichst beschreibt Petra Johann ihre Figuren mit all ihren inneren und äußeren Konflikten. Sie umkreist die Familie von Theresa, ihren Kummer, ihre Verzweiflung und die leisen Hoffnungen. Da kein Schreiben eingeht, kann es keine Entführung sein.
Jede Vernehmung mit den Bewohnern des Ortes, jeder Dialog wird ausführlichst aneinandergereiht.
Im Vordergrund steht die Suche nach dem Kind, im Hintergrund jedoch spielen sich Dramen ab.
So hatte wohl Theresa ein Geheimnis, von dem angeblich Pauline wusste. Ein Streit zwischen Theresa und Pauline legt die Schulpolitik in Bayern offen, denn Pauline wird aufs Gymnasium gehen, aber Theresa nur auf die verhasste Mittelschule. Jedem Kind wird von klein an eingetrichtert, dass es nichts wert sei, wenn es nicht zum Gymnasium darf. Der Druck der Eltern und natürlich der Umgebung beeinflusst das Wohlbefinden der Kinder. Und dann platzt die allerschlimmste Bombe, denn der Zugereiste Erik scheint laut der Mutter seiner Tochter, die nur heimlich mit ihm telefonieren kann, ein Pädophiler zu sein.
„Aber in der echten Welt, in der wir anderen leben, machen die Menschen keinen Unterschied zwischen einem Pädophilen und einem Kinderschänder. In ihren Augen ist jeder pädophile Mann ein Monster, eine Bestie, ein Perverser. Die Menschen sind nicht bereit zu glauben, dass ein Mann sich nach sexuellen Kontakten zu Kindern sehnen kann, ohne diese Sehnsucht auszuleben.“
Als diese Nachricht zu den Eltern von Theresa hindurchdringt, plant der Onkel von Theresa, da die Polizei ja trotz Hundestaffel, Hubschraubern, intensiven Recherchen, nichts macht, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, mit fatalen Folgen.
Petra Johann hat einen überaus spannenden Krimi geschrieben, nah am Leben und doch mit fiktiven Figuren, die etwas ambivalenter hätten sein können.
Und doch: sehr lesenswert.