Stephen King: Später, Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt, Heyne Verlag, München 2021, 304 Seiten, €22,00, 978-3-453-27335-1
„Im Rückblick denke ich manchmal, mein Leben war wie ein Roman von Dickens, nur halt mit Kraftausdrücken.“
„Später“ ist das Zauberwort, mit dem der Ich-Erzähler, der zweiundzwanzigjährige Jamie Conklin, immer wieder auf bereits angedeutete Geschehnisse zurückkommt. Jamie lebt mit seiner Mutter Tia, einer Literaturagentin, in New York. Sie hat die Agentur von ihrem Bruder übernommen, der leider zu früh an Demenz erkrankte. Trotz ständigem Manuskripte lesen und hohem Leistungsdruck ist Tia eine gute Mutter, die allerdings auch weiß, dass ihr wunderbarer Sohn eine besondere „Beziehung zur Geisterwelt“ pflegt. Jamie kann Tote sehen. Interessant ist, dass die Toten noch ein paar Tage unsichtbar unter den Lebenden weilen und die Wahrheit sagen müssen, wenn Jamie eine Frage stellt. Und so sieht Jamie auch die tote Nachbarin, die im Nachthemd neben ihrem Mann, Professor Burkett, steht, der ziemlich am Boden zerstört ist. Natürlich glaubt Tia Jamie am Beginn nicht, dass er diese Gabe hat. Doch als er mit sechs Jahren genauestens eine Leiche beschreiben kann, deren Gesicht verdeckt ist, verfliegen die Zweifel. Für ein Kind ist diese Begegnung als Medium mit dem Tod eine Last, ein Trauma, für den bekannten Autor Stephen King jedoch eine gängige Metapher.
Und wenn die Erwachsenen Jamies überirdische Fähigkeit nutzen können, machen sie auch Gebrauch davon. Tia kämpft finanziell ums Überleben, denn eine Anlagebetrüger und die Finanzkrise bringen sie 2008 an den Rand des Bankrotts. Sie muss handeln, als zu all den Problemen auch noch ihr zuverlässigster und bester Autors, Regis Thomas zum ungünstigsten Zeitpunkt stirbt. Da sein letzter Roman noch nicht fertig ist, müsste sie den Vorschuss zurückzahlen. Es bleibt nur eine Möglichkeit, der tote Regis, ein menschenscheuer Einsiedler, muss Jamie die Handlung seines nicht immer ganz jugendfreien fantastischen Romans vor seinem Entschwinden erzählen. Niemand weiß, dass Tia schon immer die Texte von Regis, der sich das verbeten hätte, redigiert hat. Ein Leichtes für sie, den Roman zu Ende zu schreiben und als große, hoffentlich finanzkräftige Sensation zu veröffentlichen. Bis hierher ist die Handlung des Romans eine recht harmlose Horrorgeschichte. Doch Stephen King wäre nicht Stephen King, wenn er die gruselige Vorstellung von Toten, die die Wahrheit sagen müssen, nicht noch steigern würde. Trotz heiligem Versprechen hat Tia ihrer damaligen Lebensgefährtin und Polizistin Liz Dutton von Jamies Fähigkeiten erzählt. Zu viel Alkohol und Liz‘ Drogenkonsum bedeuteten das Ende der Beziehung. Doch nun muss Liz um ihren Job bangen und sie kidnappt Jamie, damit er einem wahnsinnigen Toten sein Wissen um eine letzte Bombenlegung entreißt. Doch mit diesem Toten stimmt etwas nicht. Er entschwindet nicht, sondern verfolgt den Jungen, der nun mittlerweile dreizehn Jahre alt ist.
Die Spirale der Gewalt wird dann nach Jahren noch enger geschnallt, denn Liz wird Jamie erneut erpressen und entführen. Diesmal jedoch ist derjenige, dem Jamie die Wahrheit entlocken soll, noch am Leben.
Stephen King Lesern sind einige Erzählelemente in diesem Roman bekannt, ob es sich nun um das sogenannte Ritual von Chüd aus dem Roman „Es“ handelt, die pausenlosen Cliffhanger oder die überirdischen Figuren.
Für Leser, die Genreliteratur lieben, ist der Roman „Später“ sicher eine Entdeckung, denn der Plot ist durchaus spannend, die Handlung actionreich und der Erzähler bis zum Ende am Leben.
In dieser Kombination aus Geister- und Kriminalgeschichte steigert sich die Schocker-Handlung doch je älter der Junge wird. Und am Ende wird sogar noch eine Erläuterung geliefert, wie es sein kann, dass Jamie diese überirdische Gabe entdecken konnte und wer sein Vater ist. Wieder wird ein Toter ihn aufklären und wieder wird ein klassisches Motiv des Fantasygenres gekonnt eingesetzt.
Und sicher macht sich Stephen King auch gerade über den Literaturbetrieb mit Agenten und Autoren, die erfolgreich Bücher mit entsprechenden Sexszenen im Fantasykleid schreiben.
Spuk, Geister, Komik, die Hölle, korrupte Polizistin und die Mafia – was will man mehr!