Christoffer Carlsson: Unter dem Sturm, Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann, Rowohlt Verlag Hundert Augen, Hamburg 2021, 464 Seiten, €22,00 , 978-3-498-00160-5
„Ein einziges Ereignis. Mehr war nicht erforderlich, um die Lebenslinien zu verschieben. Wie ein roter Faden durch die Zeit.“
Mehr als zwanzig Jahre lang wird der Mord an der zwanzigjährigen Lovisa Markström den Polizisten Vidar Jörgensson beschäftigen, sein Leben beeinflussen, Konflikte in seiner Ehe und seiner beruflichen Karriere verursachen.
In der Novembernacht 1994 brennt das Gut Marbäck und zum Glück sieht es die weit entfernt lebende Nachbarin. Geborgen wird der verletzte Edvard Christensson und in einiger Entfernung entdeckt Vidar, der außer Dienst schnell helfen wollte, die tote Lovisa.
Als Täter steht relativ schnell der fünfundzwanzigjährige Edvard fest. Schon sein Vater August war wegen seiner Gewalttätigkeit, auch seiner Ehefrau gegenüber verschrien. Auch Edvard galt als kompliziert, aber klug. Er hatte ein wunderbares Verhältnis zu seinem Neffen Isak, der zu diesem Zeitpunkt sieben Jahre alt war. Edvard leugnet bis zum Ende seine Täterschaft und niemand glaubt ihm. Isak wird nun wegen seines Onkels in der Schule gemobbt, seine Eltern weigern sich, den Ort zu verlassen und der Junge glaubt, das die Veranlagung zur Gewalt auch in ihm schlummern könnte. Als Polizeiassistent findet Vidar einige Aufzeichnungen von jemandem, der Lovisa zum einen seine Liebe gestand, ihr aber auch drohte. Lovisas Tagebuchaufzeichnungen wurden angeblich nie gefunden. Es hieß, sie seien im Feuer verbrannt.
Erst neun Jahre später wird Vidar diese Aufzeichnungen in den Akten finden und entdecken, dass nie richtig geprüft wurde, ob diese wirklich von Edvard stammten.
Alle Menschen, die unmittelbar oder mittelbar mit Edvard und Lovisa zu tun hatten, geraten in ihren Leben in einen Strudel der Konflikte.
Christoffer Carlsson erzählt aus verschiedenen Perspektiven von den Ereignissen. Wie stark der Mord gerade Isaks Biografie, der seinen Onkel sehr liebte, beeinflusst, wird immer deutlicher. Da es nie zu einem richtigen Abschluss kommt, denn Edvard stirbt offenbar an einer Tablettenüberdosis im Gefängnis, bleibt alles in der Schwebe. Vidar kann sich damit nicht abfinden. Er beginnt, gegen den Willen seiner Kollegen und auch seiner Vorgesetzten neu zu ermitteln. Es gab Diebstähle in den Häusern rund um den Tatort damals. Doch die serbischen, einst aus dem Bürgerkrieg eingewanderten Migranten, die sich auf Einbrüche (mit wenig Kunstverstand, ein Bild von Carl Larsson lassen sie hängen ) spezialisiert hatten, konnten nicht die Täter in Marbäck sein. Akribisch sucht Vidar weiter und setzt damit auch seine Ehe mit Patricia aufs Spiel.
Erst 2017 eröffnet sich eine brauchbare Spur. Allerdings ist Vidar zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr im Polizeidienst. Isak wird entführt und seine schwangere Freundin Karin wendet sich an Vidar, der die Ermittlungen nun privat führt. Was nun Isaks Verschwinden, der Orkan Gudrun, ein Foto und ein nicht erzähltes Geheimnis mit dem Fall Edvard Christensson zu tun hat, liest sich atemberaubend spannend und zugleich tragisch für alle Beteiligten.
Christoffer Carlsson wählt einen ruhigen Erzählton und fühlt mit seinen Figuren mit.
Sicher will der Leser und die Leserin wissen, was nun wirklich in der Nacht 1994 geschehen ist, aber intensiver beschäftigen doch die Schicksale der einzelnen Protagonisten, deren Lebensgestaltung nicht losgelöst von der Ermordung der jungen Frau und der Inhaftierung eines Unschuldigen geprägt wurden.