Susan Hill: Schattenrisse – Der erste Fall für Inspector Serrailler, Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle, Kampa Verlag, Zürich 2021, 560 Seiten, €18,90, 978-3-311-12018-6
„Durch jahrelange Erfahrung hatte Freya gelernt, dass Zufälle ein größere Rolle spielen als fast alle anderen Faktoren, und genau darum musste es sich hier handeln – um einen Zufall. Aber sie musste auch andere Erklärungen zulassen und hatte ebenfalls gelernt, auf ihren Instinkt zu hören, wenn auch ihm nicht immer zu folgen, und diese Lektion war ihr stets zustattengekommen.“
Um genau zu sein, ist dies der erste Fall von Detektive Sergeant Freya Graffham, die nach zwölf Jahren Dienst in London in die Kathedralenstadt Lafferton gezogen ist. Nach einer kurzen Ehe mit dem unsympathischen Kontrollfreak Don beginnt für sie nun ein neuer Lebensabschnitt. Ihr Vorgesetzter ist der 32-jährige Detective Chief Inspector Simon Serrailler, ein gutaussehender Einsiedler und begabter Zeichner. Mit ihm als Hauptfigur hatte der Kampa Verlag bereits einen Krimi mit dem Titel „Phantomschmerzen“ ( Besprechung zu finden unter: www.karinhahnrezensionen.com/lese24/?s=susan+hill ) veröffentlicht.
Multiperspektivisch erzählt die britische Autorin Susan Hill von ganz unterschiedlichen Menschen, die alle nach Heilung suchen und sich manchmal an den letzten Strohhalm klammern, mag dieser noch so dubios sein. Die einen sind wirklich schwer erkrankt und vertrauen der Schulmedizin nicht mehr, die anderen haben einen Menschen verloren und andere wiederum leiden unter Depressionen und Minderwertigkeitskomplexen. Sie pilgern in einen malerischen Ort in der Nähe von Lafferton, in dem sich unterschiedliche Praxen von Therapeuten, Geistheilern, Psychochirurgen ( Sie sprechen durch die Stimme eines Arztes, der vor hundert Jahren lebte.) und Heilpraktikern befinden. Parallel dazu wird von Simon Serraillers Drillingsschwester Cat Deerborn erzählt, die Ärztin ist wie alle in der Serrailler – Familie, außer Simon, dem schwarzen Schaf.
Sie hat beste Kontakte zu einem Akupunkteur namens Aidan Sharpe. Er wirkt etwas altmodisch, war nie verheiratet, genießt aber das volle Vertrauen der Ärzteschaft in Lafferton.
Gleich zu Beginn erklingt die Stimme von einem Tonband. Jemand wendet sich an eine
bestimmte Person. Der Sprecher erzählt von seinem persönlichen Bildungsweg im medizinischen Bereich. Er erzählt laut seinen Aussagen auch von eigenen Lügen und Obsessionen.
Doch dann verschwinden nach und nach Frauen, und nur Freya nimmt die Geschichten der Freundinnen, Nachbarinnen und Kolleginnen ernst, die genau wissen, dass diese Frauen nicht einfach so ohne Handtaschen ihre Bleibe verlassen. Angela Randell, einer der Frauen, hatte offensichtlich eine Beziehung zu einem Mann, dem sie trotz ihres schmalen Gehaltes als Altenpflegerin teure Geschenke machte. Debby Parker fiel nach ihrer Entlassung in ein tiefes Loch. Als sie zum Heiler Dava ging, gab ihr das Auftrieb und Lebenskraft. Seine Ratschläge, um Abzunehmen kann man in jedem einigermaßen seriösen Magazin lesen, doch seine Creme gegen die Akne löste bei Debby eine allergische, heftige Reaktion aus. Als Cat Debby hilft, beginnt sie sich näher mit den „Medizinern ohne Ausbildung“ zu beschäftigen. Diese wissen ganz genau, was sie ihren „KundInnen“ sagen müssen, um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.
Nach Debby verschwindet dann noch Iris Chater, eine Witwe, die ihren Mann Harry vor Kurzem verloren hat.
Langsam beginnt auch die Polizei, die drei Fälle ernst zu nehmen.
Freya Graffham findet im Kirchenchor Anschluss. Zu ihrem Unglück verliebt sie sich auch noch ihren Chef Simon, der offenbar immer freundlich ist, sich aber nie auf eine Frau ernsthaft eingelassen hat.
Zerfällt zu Beginn die Geschichten in Beobachtungen von Menschen unterschiedlichen Alters, so ordnet sich die Handlung nach und nach und alles Berichtete erhält einen Sinn. Treibende Kraft im Geschehen bleibt Freya Graffham, die mit ihrem Gespür auf der gefahrvollen richtigen Spur ist.
Susan Hills Krimis liest man mit großem Vergnügen, denn sie greifen literarisch hochwertige Themen auf, die überall von Interesse sein könnten und sie strapaziert den Leser nicht mit brutal ausgewalzten Szenen. Alles kann er sich selbst ausmalen und mit den Figuren mitfiebern.