Volker Weidermann: Brennendes Licht, Anna Seghers in Mexiko, Aufbau Verlag, Berlin 2020, 168 Seiten, €18,00, 978-3-351-03794-9
„Anna Seghers war immer ganz da, bis auf dieses kleine Etwas, das Abwesende, der kleine innere Bezirk, der stets verschlossen blieb. Viele, die sie kannten, haben sie so beschrieben. Vor allem ihre besten Freundinnen.“
Anna Seghers Name kehrte erst vor Kurzem wieder ins Gedächtnis zurück, als der Spielfilm „Transit“ in der Regie von Christian Petzold in den Kinos anlief. Doch wer kennt noch ihre einst so bekannten Bücher „Das siebte Kreuz“, „Ausflug der toten Mädchen“ oder „Die Toten bleiben jung“?
Der Moderator und Literaturkritiker Volker Weidermann ( mehrere Jahre Moderator beim „Literarischen Quartett“ im ZDF, Journalist beim SPIEGEL und Gastgeber der SPIEGEL-Reihe „Spitzentitel“ ) tastet sich in seinem schmalen Band an das ambivalente Leben der Schriftstellerin im mexikanischen Exil heran.
Anna Seghers Flucht vor dem Naziregime endete 1941 nach vielen Stationen, u.a. auch in New York auf Ellis Island, im lichtvollen Mexiko. Hier findet sie mit ihrer Familie, zwei Kindern und dem irgendwie nie anwesenden Ehemann, erst eine kleine Wohnung, später nach dem finanziellen Erfolg des Romans „Das siebte Kreuz“ (einschließlich Hollywood-Verfilmung ) in den USA ein Häuschen.
Volker Weidermann erzählt von den Jahren in Mexiko – City und Seghers Rückzugsort Cuernavaca.
Bekannte Namen fallen, wie der von Pablo Neruda, zu dieser Zeit Großkonsul, aber auch die von Frida Kahlo oder Diego Rivera, der sich mit seiner Kunst keinen Deut um kommunistische Doktrin geschert hat. Unklar bleibt, wer den schweren Unfall, bei dem die Deutsche bei der Überquerung einer Straße schwer verletzt wurde, verursacht hatte. Anna Seghers fürchtete Bespitzelung und übte Parteidisziplin. Aus dem engen wie vertrauten Kreis der Genossen gab es kein Entrinnen. Sicher fragt man sich, auch nach der Lektüre zum Beispiel von Eugen Ruges „Metropol“, warum intelligente Menschen sich so bedingungslos unter das Diktat der kommunistischen Anführer haben zwingen lassen. Warum hat eine Anna Seghers, die die Machthaber sicher nicht hätten einsperren oder mundtot machen konnten, später in der DDR zu offensichtlichen Ungerechtigkeiten ( z.B. der Fall Walter Janka ) geschwiegen? Warum hat sie einem Mauerbau zugestimmt und selbst alle Privilegien, einschließlich Reisen und westliche Konsumgüter, für sich in Anspruch genommen? Warum hat sie als Jüdin ( Was in der DDR damals keine Rolle spielte! Nichts Privates, Persönliches sollte von Belang sein. ) und Autorin, die über Gerechtigkeit und Gleichheit schrieb, sich nur hinter den Kulissen für Menschen eingesetzt?
Eingebettet in eine Schar von kommunistischen Mitstreitern in Mexiko kann sich Anna Seghers nicht zurückziehen, erlebt die Machtkämpfe mit Blick nach Moskau und bleibt doch linientreu. Ihr Sohn Peter ändert als Neunzehnjähriger seine Meinung, flieht vor der „kommunistischen Glaubensgemeinschaft“ und ergreift die Chance, nach dem Krieg in Paris zu leben.
Anna Seghers Verhalten bleibt undurchsichtig. So hat sie sich im Exil so nach der Heimat, nach Mainz, gesehnt und doch bei der späten Rückkehr die Stadt, obwohl auf ihrer Strecke gelegen, nicht besucht. Auch Volker Weidermann schafft keine Annäherung. Zitate von Zeitzeugen belegen seine Gedanken, suchen nach Antworten. Wirkt Anna Seghers auf Fotos so zierlich und in Mexiko auch erschöpft, um so erstaunlicher ist es, wenn man ihre Stimme Jahre später bei Reden als Präsidentin des Schriftstellerverbands der DDR hört. Hier klingt sie hart und unbeugsam. Möglicherweise hat sie in Mexiko trotz Misstrauen gegen die Exilanten aus Deutschland die größte Freiheit in ihrem Leben erleben dürfen.
Bewegend liest sich das Nachwort mit dem Titel „Blaue Welt“ von Volker Weidermann. Hier erzählt der Autor von seiner persönlichen Begegnung mit dem 94-jährigen Sohn der Anna Seghers, früher Peter heute Pierre Radványi, und von seiner Reise nach Mexiko. Die Ich-Perspektive ersetzt hier das seltsam anmutende Wir ( Wer ist wir?) aus der biografischen Annäherung.
Unwillkürlich denkt man als Leser natürlich an Autoren aus dem Iran, Irak oder Syrien, die in Deutschland Fuß fassen und zum Teil auch bereits ihre Texte veröffentlichen können. Anna Seghers träumte immer von der Rückkehr. Wie mag es ihnen ergehen?