Ulrike Ulrich: Während wie feiern, Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München 2020, 269 Seiten, €22,00, 978-3-8270-1408-5
„Und er fragt sich, ob man Alexas Verhalten so nennen kann. Ihr kindliche Begeisterung, wenn sie einen ganzen Satz auf Schweizerdeutsch so sagt, dass man ihr das Fremdsein nicht mehr anhört. Etwas, was sein Vater nie erreicht hat. Etwas, das Kamal nicht erreichen wird. Niemals. Weil sie ihn vorher ausschaffen werden.“
Diese Gedanken entwickelt Zoltan Kisch auf der alljährlichen Geburtstagsparty seiner guten Bekannten, Alexa Albrecht, am Nationalfeiertag der Schweiz, dem 1. August.
Alexa wohnt seit dreizehn Jahren in Zürich. Hier hatte sie einen Auftritt als Sängerin, hier hat sie Adrian kennengelernt, mit dem sie zusammenlebt. Die Mitte Vierzigjährige hat sich für den Wechsel ihrer Staatsbürgerschaft entschieden, die Einbürgerung lässt jedoch auf sich warten. Adrian wiederum hat vor einiger Zeit erfahren, dass er einen Sohn hat. Robert lebt an den Wochenende bei den beiden. Der 17-Jährige zieht sich in die Mansarde der Wohnung zurück oder unternimmt etwas mit seinem Vater. Dann ist da noch Zoltan, der Lektor, dessen Familie einst aus Ungarn in die Schweiz kam. Er ist mit Martina verheiratet, hat ein Kind und scheint glücklich. Er bringt sogar zur Feier eine deutsche Autorin mit, die Alexa sehr verehrt. Zoltan unterrichtet unentgeltlich Asylbewerber. Unter ihnen ist Kamal Fonzai aus Tunesien, der in kürzester Zeit die Landessprache sprechen kann. Als Schwuler wurde er in seiner Heimat im Gefängnis gefoltert. Aber die Schweizer Behörden glauben ihm nicht, denken, er täuscht diese Geschichte trotz Narben im Gesicht nur vor. Seine Beschwerde wurde abgelehnt und nun muss er das Land verlassen. Aus Angst vor der Polizei sucht der Tunesier, einen Ort um unterzutauchen. Zoltan jedoch verwehrt ihm die Hilfe, lässt ihn nicht bei sich wohnen, weil er für ihn selbst unerklärlich, Gefühle entwickelt hat, die ihn verunsichern. Und da ist Jessica, die mit Brad, dem amerikanischen Schauspieler kommen wird, der für die Schweizer Bank UBS Reklame macht. Brad hatte mit Alexa ein kurzes Verhältnis, wovon Adrian jedoch keine Ahnung hat.
Um den Männeranteil etwas zu erhöhen, hatte Alexa auch einen Fan von ihr eingeladen. Auch sein Blick auf die wie ihm scheint links denkende Gesellschaft, lässt tief blicken.
Ulrike Ulrich gewährt dem Leser einen Einblick in einen Tag und einen Abend im Leben all dieser Menschen. Das Gerüst der Handlung ist die Vorbereitung Alexas auf ihre Party, bei der jeder etwas zu essen mitbringt. Eine typische Feier, bei der ca. vierzig Freunde mit Kind und Kegel kommen, tanzen, trinken und das Feuerwerk sehen wollen. Die Autorin, die auch in Zürich lebt, wechselt immer wieder die Perspektiven. So erlebt der Leser die vergebliche Suche Kamals nach einer Bleibe bei Schweizern, die nicht gern die Türen zu ihren Wohnungen öffnen. Wobei Alexa relativ schnell Zoran die Mansarde von Robert für Kamal zusagt, was Robert wiederum auf die Palme bringt. Dass sie mit dieser Aktion ihren Aufenthaltsstatus in der Schweiz gefährden könnte, ist ein Argument von Adrian. Immerhin schwebt die sogenannte Durchsetzungsinitiative über allen, die zwar in der Schweiz leben, aber keine Staatsbürgerschaft besitzen.
Neben harmlosen Konflikten, Alexas Freundin und Musikerkollegin Evelyne hat jetzt eine vierjährige Tochter und Mann Philippe wünscht sich ein weiteres Kind, Alexa nicht so begeistert von den Kindern auf ihrer Party und Gedanken darum, dass alles super laufen soll, entwickelt sich Kamals Existenzbedrohung zu einem wahren Drama aus. Als Kamal wegen einer Kopfverletzung ins Krankenhaus eingeliefert wird, macht sich Zoltan schwere Vorwürfe und offenbart sich seiner Ehefrau Martina.
Meisterhaft verknüpft Ulrike Ulrich eine Vielzahl von Schicksalen zu einem hellsichtigen, hochaktuellen Roman, der wie ein Gegenwartspanorama zwischen privatem Glück und gesellschaftlichen Konflikten die sogenannte Mitte der Gesellschaft in ihren Ansichten spiegelt.