Elisabeth Herrmann: Requiem für einen Freund, Goldmann Verlag, München 2020, 475 Seiten, €10,00, 978-3-442-48250-4
„ Eine kleine Schluderei fürs Finanzamt, und schon war man nicht mehr glaubwürdig. Wer lügt, der stiehlt, der frisst auch kleine Kinder. Ich konnte Marie-Louises Ärger spüren, sie schickte Eismoleküle in meine Richtung und überschlug wahrscheinlich die Anschaffungskosten eines Marterpfahls.“
In üblich trockener Erzählweise betrachtet der einst so beliebte Anwalt für Strafrecht, Joachim Vernau, seine Lebenslage und diese sieht nicht gerade rosig aus. Jedenfalls hat er seine Kanzlei jetzt in ein hippes Gemeinschaftsbüro oder eher in einen engen Coworking Space verlegt, d.h. er hat einen simplen Schreibtisch im angesagten Berliner Bezirk Mitte gemietet. Marie-Louise und er haben sich nicht nur privat, sondern auch beruflich getrennt und wenn er einsam ist, dann muss er nur ins Scheunenviertel fahren und seine Mutter besuchen. Sie allerdings gibt sich momentan mit Schweißgerät und alten Fahrrädern der Kunst hin und ist momentan mit der etwas biestigen Frau Huth und einem Komponisten für moderne Musik liiert, der ziemlich erfolgreich ist. Alles sehr unkonventionell.
Und dann ist da noch Vernaus alter Studienfreund, Sebastian Marquardt, der durch seine Mandanten offenbar einfach nur noch im Geld schwimmt.
Alles beginnt mit einer, und jetzt wird es so richtig schön unangenehm, Betriebsprüfung der letzten vier Jahre. Da Vernau die ersten zwei Jahre beruflich noch mit Marie-Louise zusammen versteuert war, muss sie ihm alle Belege bringen. Ein gewisser Udo Fischer vom Finanzamt findet sich an Vernaus Tisch ein und los geht es mit dem Durchwühlen der Belege. Auch wenn Herr Fischer einen sehr freundlichen Eindruck macht, Vernau ahnt, dass da sicher irgendetwas Unangenehmes auf ihn zukommen könnte. Als Fischer ihn lang nach Feierabend anruft und mit ihm über eine bestimmte Quittung, und dieses Mal ist es keine Ikea-Regal-Rechnung, sondern ein über 400 Euro-Beleg nach einem Restaurantbesuch bei Peppone in der Charlottenburger Schloßstraße, persönlich sprechen möchte, ärgert sich Vernau wirklich. Fischer hatte sogar mit der Staatsanwaltschaft gedroht, wenn er nicht sofort auftauchen würde. An diesem Abend im März vor vier Jahren hatten sich eigentlich nur Marquardt und er getroffen und den Beleg, um Marie-Louise zu helfen, auf ihren Namen ausgeschrieben. Sie hatte allerdings diese Quittung, ehrlich wie sie ist, nie beim Finanzamt eingereicht. Etwas gereizt kehrt Vernau doch in sein neues Büro zurück und findet den armen Herrn Fischer im eigenen Blut liegend vor. Angeblich sei es ein Selbstmord gewesen. Die Quittung jedoch ist verschwunden. Am gleichen Abend im März vor vier Jahren hatte sich auch Caroline Weigert, Staatsanwältin für Steuerstrafsachen, ebenfalls umgebracht. An ihrer Seite im Auto fand die Polizei einen jungen Hund. Wer schafft sich einen Hund an, um sich dann und das arme Tier zu töten? Weigert hatte damals ernsthaft den international agierenden Baulöwen Andreas Hartmann und den Staatssekretär für Stadtentwicklung und Wohnen, Peter Schweiger, im Visier. Alle Vorwürfe wurden jedoch grundlos abgeschmettert und natürlich war und ist Marquardt der Anwalt von Hartmann.
Bestechung, Korruption, Schwarzgeldaffären, Amtsmissbrauch – alles, was einem einfällt im Angesicht von Immobiliengeschäften ziehen sich als Strafdelikte durch diesen spannenden Krimi.
Nach und nach beginnt Vernau, seine Fühler auszustrecken, denn die Passivität der Ermittler und vor allem eine neue Steuerprüferin geben ihm viele Rätsel auf. Hinzu kommt noch, dass Vernau überfallen wird, nur um ihm seinen alten Kalender zu klauen. Als Marquardt dann auch noch verschwindet, obwohl seine Tochter hochschwanger ist, wird langsam klar, wer da alles seine schmutzigen Finger im Spiel hat. Und damit es nicht langweilig wird, mischen natürlich auch ausländische Investoren und Bauherren mit – immerhin muss Vernau am Ende sogar nach Hongkong reisen.
Quer durch Berlin ziehen sich die Handlungsorte dieses Krimis. Elisabeth Herrmann legt ihre Finger und die von Vernau direkt in die Wunde des Mietenwuchers, der Immobilienbetrügereien, kurz gesagt, des Ärgers Nummer EINS in Berlin. Nie überlädt die Autorin ihre Handlung mit zu viel Personal und undurchsichtigen Machenschaften, die der Leser einfach nicht mehr durchschauen kann. Vom Abtauchen einer harmlosen Quittung bis zum Showdown in Hongkong mit Auftragsmördern und allem drum und dran bleibt der Leser gespannt, wie Vernau auch als guter Freund diesen Fall lösen wird.