Charlotte Wood: Ein Wochenende, Aus dem australischen Englisch von Brigitte Walitzek, Verlag Kein & Aber, Zürich 2020, 284 Seiten, €22,00, 978-3-0369-5825-5
„Judes finstere Stimmung breitete sich inzwischen im ganzen Haus aus, sickerte durch die dünnen Wände und Türen. Wendy war froh, sich im Schlafzimmer verstecken zu können. Finn klackerte wieder auf und ab, aber der Rhythmus seiner Bewegungen beunruhigte sie nicht, solange er nicht in Judes Blickfeld war. Was sollte nur aus der armen Adele werden?“
Sie waren vier unzertrennliche Freundinnen, doch nun ist Sylvie verstorben und Jude, Wendy und Adele, alle über siebzig, räumen gemeinsam Sylvies Strandhaus in Bittoes aus. Gail, Sylvies Lebensgefährtin, ist nach Irland entschwunden und hat den Freundinnen eine E-Mail geschrieben, in der sie ihnen mitgeteilt hat, dass sie von Silvies Sachen mitnehmen könnten, was sie mögen und einfach Ferien am Strand verbringen sollten. Es ist Weihnachten und über 30°C.
Ziemlich verbissen reist Jude als erste an und beginnt energiegeladen mit dem Ausmisten des Hauses. Hier hat sie unvergessliche Wochenenden mit ihrer großen Liebe, dem verheirateten Daniel verbracht, und das vierzig Jahre lang. Finanziell gut dastehend, ist Jude, die einstige Gastronomin, die praktische und bodenständigste von den drei Frauen. Gespräche über Befindlichkeiten sind ihr absolut zuwider, genau so wie Wendys siebzehn Jahre alter Hund Finn. Natürlich kam die Anweisung von Jude, dass Wendy ihren geliebten Hund zu Hause lassen sollte. Aber Wendy kann den altersschwachen Finn nicht mehr allein lassen, alles ängstigt ihn, er kann kaum hören und eigentlich hätte sie ihn schon längst einschläfern lassen müssen. Wendy, die einst attraktive Intellektuelle, die Bücher geschrieben hatte und glücklich mit ihrem zweiten Ehemann Lance und nach außen hin auch mit ihren Kindern war, scheint irgendwie langsam zu verloddern. Sie kümmert sich nicht um sich, hadert mit der Ablehnung ihrer Kinder und spürt eine langsame Umnachtung aufziehen. Adele, die einst sehr bekannte Schauspielerin, steht wiedermal vor einem Scherbenhaufen. Ihre Freundin Liz wird sie vor die Tür setzen und Adele weiß finanziell nicht mehr aus noch ein. Keine Angebote flattern ins Haus, nicht mal ein kleiner Werbespot. Dabei fühlt Adele, die sich gern in Tagträumen verliert, die Schwere des Alters nicht, sie ist biegsam und hat eine immer noch ansprechende Figur. In den Augen der Freundinnen ist Adele das ewige Kind, egoistisch, selbstverliebt und ziemlich faul. Aber auch sie hat ihre dunklen Tage und die werden sich häufen.
Schaut die eine auf die andere, so bleibt wenig Achtung. Jude lamentiert über die Anwesenheit des alten Hundes, sie missachtet Wendys Äußeres und kritisiert in einer Tour an Adele herum. Nur Sylvie hatte alle vier zusammengeschweißt. Nicht nur Adele fragt sich, warum die drei genervten Frauen sich mit dem verdreckten Haus voller alter abgewetzter Dinge abmühen müssen, wenn Gail es doch irgendwann für viel Geld dank wunderbarer Strandlage verkaufen wird. Mühsam befördert der alte Lastenzug auch alles zum Haus auf dem Berg und hinunter ist er genauso langsam. Keine von den drei Freundinnen findet etwas, was sie unbedingt behalten will.
Disharmonien machen sich nicht nur im Strandhaus breit, langsam zieht ein Unwetter auf, Wendy entdeckt etwas Verwestes im Wasser und so spürt der Leser, dass auch die Frauen vielleicht bei ihrem letzten Treffen einander die Wahrheit sagen sollten.
Charlotte Wood erzählt von den Freundinnen immer wieder im Perspektivenwechsel. Jede betrachtet jede aus ihrem Blickwinkel und erinnert sich an Vergangenes. Jede verdrängt für sich die unausweichliche Endlichkeit und hadert doch mit den Lasten des Alters. Wie stark die eigenen Innen- und Außenbilder voneinander abweichen, wird klar, als Adele diesen eingebildeten jungen Regisseur mit seiner ebenfalls betagten Freundin, einer Schauspielerin, die Adele als Konkurrenz empfindet, am Weihnachtsabend einlädt. Hofft Adele noch auf eine Rolle, so amüsiert sich der sogenannte Künstler über die „alten Tanten“.
Die australische Autorin hält ganz wunderbar die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und unfreiwilliger Komik, wobei sie sich nie über ihre betagten Protagonistinnen erhebt, ganz im Gegenteil. Die Frauen kennen die Momente, in denen die Altersdiskriminierung zuschlägt und niemand anders als Jude weist andere in die Schranken. Und doch – nichts bleibt wie es einmal war, alles, so schmerzhaft es auch ist, wird sich ändern.
„Die Leute dachten, wenn man alt wurde, würde man sich seine verlorene Jugend zurückwünschen, die verlorene Liebe, Männer, Sex. In Wirklichkeit jedoch wollte man Arbeit, und man wollte Geld.“