Gill Sims: Mami muss mal raus, Tagebuch einer gestressten Mutter, Aus dem Englischen von Ursula C.Sturm, Eisele Verlag, München 2019, 378 Seiten, €15,00, 978-3-96161-055-6


„Man könnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass es so war, wenn man sich die Bilder ansieht, die ich auf Instagram gepostet habe – Bilder, die illustrieren, welche Art Urlaub ich mir gewünscht habe, im Gegensatz zu dem, den ich tatsächlich hatte."

Ellen möchte eine „Supermami“ sein, die ihre Kinder gut erzieht und gesund bekocht, ihren Mann liebt, einen gut bezahlten Job hat, Haus und Garten pflegt und alles in Butter ist. Aber so ist das reale, analoge Leben nicht, ganz im Gegenteil. Ellens elfjährige Tochter Jane nervt ihre Mutter ständig mit der Bitte um einen Instagram Account, den sie natürlich erst mit dreizehn haben darf. Der Muttter-Tochter Dialog endet immer mit den gleichen Worten von Jane: „Das ist total unfair und du zerstörst mein Leben!“ Ellen kann sie nicht mehr hören. Peter ist drei Jahre jünger und lebt nur von Pommes und für den Moment, in dem er ein Tablet vor der Nase hat. Simon ist Ellens Ehemann, der immer durch Abwesenheit glänzt, da er jede Dienstreise dankend wahrnimmt. Mr Right sieht sicher anders aus, denn Simon glaubt, dass Ellen für sein Wohlergehen auf der Welt ist. Doch die Zeit, wo Frauen zu Hause sitzen und das Heim schön gestalten und Männer auf der Jagd den Abenteuern hinterherhechten, ist vorbei. Als Ellen sich nach ihrer freiberuflichen Phase ( Sie hatte in „Mami braucht ’nen Drink“ eine gut verkaufte App entwickelt. ), in der sie gute sechs Kilo zugenommen und eigentlich nur in den sozialen Medien unterwegs war, wieder auf dem Arbeitsmarkt umschaut, ist Simon nicht begeistert. Er hat wenig Lust, im Haushalt mitzuhelfen, die Kinder von der Schule abzuholen oder gar Abendessen zu kochen.

Ellen füllt ihr Tagebuch mit bissigen Kommentaren über ihren desinteressierten Ehemann, die nervigen Kinder, ihre arrogante Schwester Jessica, deren brave Kinder Persephone und Gulliver heißen, über das liebestolle Au-pair-Mädchen aus Frankreich und ihren heiratswütigen Vater.
Im IT – Bereich sind, oh Wunder, nicht nur die Hipster mit ihrem lächerlichen Outfit gefragt, sondern auch eine zweiundvierzigjährige Frau. Ellen bekommt einen Vollzeitjob, hat sich den Posten der Vorsitzenden des Schulfördervereins geschnappt, warum auch immer, und ist nun heillos überfordert. Da hilft bei Ellen nur eins, viel Alkohol, alles von Weißwein bis Kaffeelikör. 

Ellen ist schnell auf der Palme, vor allem, wenn sie glaubt, im Recht zu sein.Zu lesen sind herrliche Auseinandersetzungen mit ihrem Mann, den Kindern und vor allem mit ihrer Schwester. Es fallen Schimpfworte und laute sprachliche Kanonaden. Dass Peter diese dankend in der Schule weitergibt, erfährt Ellen bei einem Gespräch mit seiner Lehrerin.
Ellen ist kaum ein elterliches Vorbild, denn auch sie verbringt sehr gern Zeit auf sinnlosen Websites, kauft bei Amazon, füttert ihren Facebook Account, was ja so was von out ist und isst liebend gern Kekse. Ums Essen dreht sich das Mittelschichtsleben ohne finanzielle Sorgen allerdings pausenlos. Es soll gesund und vor allem nahrhaft sein. Ein Besuch in einem Restaurant mit den Kindern jedoch vermeidet Ellen tunlichst, denn sie ahnt, was geschehen wird. Jane und Peter verweigern alles.

Im Team von Ellens neuer Arbeitsstelle ist ebenfalls eine Mutter mit zwei Kindern. Ellen hatte nicht gerade laut verkündet, dass sie Kinder hat. Ihre Kollegin muss, wie Ellen, die sich allerdings irgendwelche Lügen ausdenkt, ab und zu eher gehen, aber sie macht ihre Arbeit korrekt, trotzdem reden die männlichen und auch weiblichen Kollegen schlecht hinter ihrem Rücken über sie. Ellen bemerkt dies und fühlt sich absolut schlecht. Ein bisschen Solidarität wäre angebracht, aber jeder ist sich im harten Arbeitsalltag selbst am nächsten.
Hier wie auch an anderen eher witzigen Stellen spürt die Leserin die gesellschaftskritischen Töne, die Gill Sims auf jeden Fall anklingen lassen will. Da ist auch Ellens unsympathische Mutter, die Angst um ihre superteuren Einrichtungsgegenstände hat, wenn ihrer hochschwangeren, ach so geliebten Stieftochter die Fruchtblase platzt.
Stark überzogen, klischeebeladen und doch genau beobachtet zeichnet die in Schottland lebende Autorin ein Bild unserer modernen Gesellschaft, wo der Schein mehr bedeutet als das Sein.
Wie stelle ich mich in den sozialen Medien dar und habe ich die richtigen Klamotten an? Wie hechele ich allem hinterher, was angesagt ist?
Diese Fragen treiben Ellen um.
Stellenweise fehlen, bei aller Komik und allem Voyeurismus, aber die leisen, mal nachdenklichen Töne. Vielleicht finden sich diese ja im kommenden Band „MAMI KANN AUCH ANDERS“.