Simone Meier: Kuss, Kein & Aber Verlag, Zürich 2019, 256 Seiten, €22,00, 978-3-0369-5794-4

„Sie hatte ihm die Wahrheit gesagt. Dass sie arbeitslos war und im Grunde keine Lust hatte, sich einen neuen Job zu suchen, es aber dennoch tun würde, gleich als Erstes im neuen Jahr, weil sie Yann gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte. Und weil ein Job ihrer geistigen Gesundheit zuträglicher war als die schon fast vorstädtische Einsamkeit der Hausfrau. … Und dass ihr das Haus keine Arbeit mehr bot.“

Wie lebt die Generation in den Dreißigern und was sind so ihre Vorstellungen vom guten Leben? Simone Meier schaut in die Seelen von Gerda, sie ist Anfang Dreißig, Yann Ende Dreißig und dessen Kollegen Alex, der ebenfalls in dem Alter ist. Eher desillusioniert ist die zweiundfünfzigjährige Valerie, die als Nachbarin das Pärchen Gerda und Yann beobachtet und aus ihrer Sicht beurteilt.

Seit gut drei Jahren liiert, mieten Gerda und Yann ein Haus, genau an dem Tag als Gerda als Grafikerin in der Agentur gekündigt wird. Was nun? Den Freunden wird erzählt, sie habe sich eine Zeit lang unbezahlten Urlaub genommen, zu peinlich die Tatsache, dass sie entlassen wurde und nun wie in den fünfziger Jahren dem Ehepartner auf der Tasche liegt. Dabei genießt Yann zu Beginn die Idee, dass er ins traute Heim und gemachte Nest nach einem langen Arbeitstag im Institut zurückkehrt. Als Ernährer füllt er seine Rolle mit immer mehr Skepsis aus und der Gedanke, dass Gerda schwanger werden könnte, beglückt eher ihn als sie. Eigentlich möchte sie kein Kind und ihre Tagträume schwirren auch nicht wie Yanns um ein kleines Mädchen, dass im Garten herumhüpft.
Gerda stürzt sich mit Vehemenz auf das alte Haus, dass sie allerdings nur in Maßen verändern kann. Der Vermieter stimmt einigem zu, Wände herausreißen ist jedoch nicht drin. Gerda ist es gewohnt, mit wenig Geld auszukommen, denn als Kind einer alleinerziehenden Mutter, die jetzt als Übersetzerin drittklassiger skandinavischer Krimis arbeitet, kennt sie das Gefühl, wenig zu besitzen und auch bitter, nicht geliebt zu werden. Yanns Familie dagegen erscheint ihr als die Bilderbuchfamilie, die sie gern gehabt hätte. Sie mag es bei Besuchen, am Morgen mit Yanns Vater Frühstück für alle zu machen.

Mit Yann lebt sie ein harmonisches und sexuell nun nicht mehr so aufregendes Leben. Sie schaut mit Vorliebe Reportagen über Hausfrauen, HBO-Serien oder Geschichten von Aussiedlern, die unweigerlich scheitern. Die Siedlung langweilt Gerda ziemlich schnell und die schreiende Nachbarin, die Kette rauchend ins Telefon brüllt, nennt sie einfach nur die „Krähe“.
Valerie heißt die „Krähe“, die im Haus der Großmutter für einige Zeit wohnt, bis sie sich doch entschließt, dieses zu verkaufen. Aus Valeries nüchterner Perspektive offenbart die Autorin eine schonungslose Sicht auf die Großstadtmenschen, die sich in der Vorstadt verirrt haben.

Gerda füllt ihre verbleibende einsame Zeit mit immer mehr mit Tagträumen aus. Sie malt sich aus, wie sie ihre ungeliebte Mutter töten oder mit Alex ein erfülltes Sexleben haben könnte. Und nach einem gemeinsamen Essen mit dem attraktiven Alex arrangiert es Gerda so, dass sie mit ihm allein ist.

„Nein, das war kein Kuss, eher ein Zufall, ein Versehen, sie hätte genauso gut ein Kind oder eine Katze auf die Nasenspitze küssen können.“

Diese Szene hatte natürlich Valerie bemerkt und findet nur Spott für die Nachbarin. Als Yann auf Dienstreise in Berlin ist, treffen sich wieder ganz durch Zufall Gerda und Alex, der sich angeblich von seiner Familie losgesagt hat, aber durch die Hintertür vom Geld seines Vaters lebt, denn der sponsert das Politik-Institut. Alex wohnt im Prostituiertenviertel in einer WG und gefällt sich in der Rolle des Außenseiters.

Die Gesellschaftsschicht der sogenannten politisch korrekten Hipster sprachlich auf den Punkt und extrem unterhaltsam zu sezieren, das ist Simone Meiers Thema. Sie schaut hinter die Fassaden ihrer Protagonisten und legt offen, was diese denken und vor der Außenwelt verbergen.