Jan Christophersen: Ein anständiger Mensch, Mare Verlag, Hamburg 2019, 349 Seiten, €18,99, 978-3-86648-607-2
„Das Leben sei kurz, warum sich einschränken, Freiraum für Experimente müsse zwischen uns selbstverständlich sein …. Das alles sagte ich, obgleich ich selbst keinerlei Bedürfnis verspürte nach anderen Frauen, nach Männern oder was weiß ich: damals wie heute nicht.“
Steen Friis ist der eloquente Erzähler des Romans, sein Gedankenfluss, alle seine Fantasien, Tagträume und selbstverliebten wie ironischen Äußerungen teilt er dem Leser bis ins noch so kleinste Detail mit, dazu gehört nicht nur der Anblick einer sich windenden Zecke, sondern auch philosophische Exkurse und Schlaumeiereien. Denn Friis ist ein erfolgreicher, etwas selbstgefälliger Autor von Werken über die Fragen des Anstands und ein gern gesehener Gast in Talkshows und zur Stelle, wenn es um Radiointerviews geht. Friis lebt mit Frauke, einer Psychotherapeutin, in Hamburg und besitzt ein Häuschen auf einer dänischen Insel versteckt im Wald, in das er sich zurückzieht, wenn er schreiben und einfach Ruhe haben will. Beider Tochter Bea ist achtzehn und auf Sinnsuche in England.
Steen und Frauke haben für das Wochenende Ute, Steens gute Bekannte aus dem Verlag, und ihren neuen Freund Gero, einen IT-Menschen, eingeladen. Von Anfang an baut sich zwischen den Männern eine Spannung auf, die kaum zu erklären ist. Parliert Steen über eine altbekannte Sage von einem Riesen, die auf seiner Insel spielt, so ergießt sich Gero in Erzählungen über sein Segelboot, das Steen nicht mal betreten wollte. Steen und Ute verbindet ein Geheimnis, dass etwas pikant ist. Da sie als Verlagsvertreterin diverse skandinavische Krimis lesen muss, behauptet Steen in seiner etwas arroganten Art, dass es leicht sei, diese zu schreiben. Durch eine Wette mit Ute ist er nun gezwungen, einen Krimi unter Pseudonym zu schreiben, ansonsten müsste er ihr ein Nacktfoto von sich schenken. Da er die Hürde nimmt, das Buch sogar erfolgreich veröffentlicht und verfilmt wird, ist er im Besitz eines Nacktfotos von Ute.
Frauke findet Gero, der wohl Ähnlichkeit mit Robert Redfort hat, ziemlich anziehend und teilt Steen unverhohlen mit, dass sie gern mit Gero schlafen würde. Da beide eine offene Ehe führen und nun nach Beas Auszug alles wieder möglich ist, kann Steen nichts einwenden. Aber es gärt in ihm, er wünscht in seinen Tagesfantasien dem Nebenbuhler den Tod an den Hals, zumal er kein vernünftiges Gespräch mit ihm führen kann.
Weiterhin ist ein Artikel im Spiegel erschienen, in dem ein einstiger Weggefährte ihn und seine Ansichten über den Anstand in der Gesellschaft zur Schnecke macht. Zu allem Überfluss hat der Verlag auch noch ein positives Statement von Steen auf die Rückseite des neuen Buches dieses Freundes gedruckt, das er nie so abgegeben hat. Steens Stimmung steuert auf einen Tiefpunkt zu, den auch die wunderbare Landschaft der dänischen Insel nicht auffangen kann. Außerdem beginnt Frauke von Steens Ängsten vor den Freunden zu erzählen und die Schieflage des Wochenendes steuert auf ein Fiasko zu. Als Ute auch noch das Krimigeheimnis lüftet und Gero ihr Nacktfoto sieht, unterstellt Gero ihr ein Verhältnis mit Steen. In dieser aufgeheizten Konstellation, die den Wahlverwandtschaften in Goethes Roman gleicht, spielt ein Pilzessen eine besondere Rolle. Steen als Experte für Pilze und Kartoffeln, er könnte auf dieser Insel auch allein überleben, kontrolliert er die gesammelten Fundstücke. Er sortiert Giftiges aus und vielleicht im Unterbewusstsein oder in Gedanken nimmt er die Aufgabe nicht allzu ernst.
„Ich vermied es, ihm in die Augen zu schauen. ( Die Klingen der Küchenmesser blitzen verführerisch in der Sonne.)“
Auf jeden Fall beendet das Pilzmahl das gemeinsame Wochenende und alle, außer Ute, landen im Krankenhaus.
Jan Christophersen umkreist in einer eleganten Sprache mit dänischen Einsprengseln und bissigen Seitenhieben die moderne Ehe, das ziemlich entspannte, um nicht zu sagen, sorgenfreie Leben eines schreibenden Philosophen, der immer die passenden Zitate zur Hand hat, Verlags- und Medienwelten, die Angst des Protagonisten vor Veränderungen und ein Schweigen zwischen den Eheleuten, dass nicht mehr anständig ist.