Hansjörg Schertenleib: Die Hummerzange, Ein Maine-Krimi, Kampa Verlag, Zürich 2019, 272 Seiten, €16,90, 978 3 311 12004 9
„Sie dachte an Betsy, an Sky, an Michael, an Jake. Die Vorstellung, dass sie es vielleicht schaffen könnte, ohne Michael zu leben, schreckte Corinna. Vielleicht gelang es ihr, den Schatten, der sie seit seinem Tod begleitete, wenn nicht als Geschenk, dann wenigstens als etwas zu sehen, das zu ihr gehörte, das ein wichtiger Teil von ihr war.“
Corinna Holder lebt als gebürtige Schweizerin im Ruhestand in Maine. Die 57-jährige Kriminalpolizistin hatte sich mit ihrem Mann Michael zuerst ein Ferienhaus auf Spruce Head Island gekauft, um dann vom Kanton Aargau ganz in die USA zu ziehen. Doch vor neun Monaten ist Michael ums Leben gekommen. Lag es wirklich an Corinnas Alkoholsucht, das er verärgert das Haus verlassen hat und mit dem Auto verunglückte? Corinnas beruflicher Abschied war nicht geplant. Nach ihrem letzten Fall, einem Vierfachmord in einem ausgebrannten Haus, konnte sie einfach nicht mehr arbeiten. Nach einer Therapie, die sie allerdings abgebrochen hat, nimmt sie nun, um mit dem Schmerz und den Schuldgefühlen klarzukommen, regelmäßig und offenbar auch zu viele Tabletten. In Maine besorgt diese ihr ein Dealer namens Ray.
Ausführlich beschreibt Hansjörg Schertenleib die traumhafte Wahlheimat von Corinna, als hätte die Schweiz nicht auch wunderbare Plätze. Einen Blicks aufs Meer jedoch kann auch die schöne Schweiz nicht bieten und darauf kam es wohl an und auf die doch zurückhaltende Art der Inselbewohner. Seit die Hummer wieder gefangen werden dürfen, boomt der Handel. Allerdings verträgt Corinna keinen Hummer und muss Austern essen.
Auf dem Weg zu einem idyllischen Schwimmplatz entdeckt Corinna einen Toten im Meer. Es ist der steinreiche Firmenberater Norman Dunbar, getötet durch eine Hummerzange.
„Die Zange saß ihm wie ein Insekt mitten im Gesicht, eine silberne Spinne.“
Wie viel Hass muss ein Mensch empfinden, wenn er einem anderen eine Hummerzange durch die Augen treibt? Durch Zufall hatte Corinna Dunbars Frau, Tracy, kennengelernt. Im Laufe der Handlung wird sie immer wieder Tracy treffen und so einiges über ihren Mann erfahren. Als Polizistin kann Corinna einfach nicht die Füße stillhalten. Möglicherweise ist das Housekeeperehepaar der Dunbars in den Fall verwickelt, denn Sky hatte ein Verhältnis mit Norman Dunbar und ihr eifersüchtiger Ehemann, Chad ist auf der Flucht. Ray und Chad hatten gemeinsam einen Einbruch bei Dunbar geplant, allerdings wurde Ray erwischt und daraufhin von Dunbar erpresst.
Corinna muss sich nur irgendwo hinsetzen und den Namen Dunbar sagen, dann hört sie die miesesten Geschichten. So hat Dunbar Firmen aufgekauft und ohne Rücksicht auf die Angestellten zerschlagen. Ein Albtraum für diejenigen, die einfach keine neue Arbeit finden konnten. Bei einem tragischen Fall hatte sich ein Ehepaar erschossen und zwei Kinder im Alter von 11 und 13 Jahren hinterlassen. Mit Hilfe eines Privatdetektivs recherchiert Corinna all diese Geschichten und schließt mögliche Täter aus. Was die Polizei inzwischen unternimmt, bleibt im Ungewissen.
Corinna jedenfalls lebt langsam wieder auf, muss einiges, auch an Prügel, einstecken und vergisst sogar, dass sie eigentlich ihre Tabletten nehmen müsste, denn ein kalter Entzug kann böse Folgen haben. Und noch ein Problem beschäftigt Corinna, aber auch ihre Nachbarn. Des Nachts fliegen Steine in die Wohnzimmer und Leute auf Motorrädern fliehen.
Hansjörg Schertenleib hat sich vielleicht neben dem Blick auf ein touristisches Wohlfühlambiente eine taffe Hauptfigur ausgedacht, die an der rauen, aber landschaftlich attraktiven Küste Ermittlungen aufnimmt. In Rückblenden erinnert sich Corinna an ihren Mann Michael und die erste Zeit in Maine, aber sie denkt auch an ihren Sohn Thomas, der sie bald mit seiner Freundin besuchen will. Und dann läuft ihr auch noch ein interessanter Mann, Jake, ein Instrumentenbauer über den Weg.
Keine Frage, von dieser Frau im sogenannten Ruhestand möchte man mehr lesen, denn nichts ist interessanter als eine glaubwürdige Protagonistin mit all ihren Stärken und Schwächen, die zum Glück nicht extravagant ist, sondern sehr normal. Und Hansjörg Schertenleib verzichtet auf brutale unnötige Szenen und auf Spannung ist der Roman auch nicht getrimmt. Viel mehr geht es um menschliche Schicksale, gut beschriebene Landschaften, innerliche Befindlichkeiten und menschliche Beziehungen, die mal funktionieren oder tödlich enden.
Und noch ein Bonus, Hansjörg Schertenleib kann einfach exzellent schreiben, was in vielen Krimis leider auf der Strecke bleibt. Es ist ein Genuss, seinen Worten und seiner Hauptfigur zu folgen.
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