Donna Leon: Ein Sohn ist uns gegeben – Commissario Brunettis achtundzwanzigster Fall, Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz, Diogenes Verlag, Zürich 2019, 307 Seiten, €24,00, 978-3-257-07060-6
„Die Frage, ob Venezianer käuflich sind oder nicht, beschäftigte Brunetti schon lang nicht mehr; er wechselte das Thema.“
Bevor Commissario Brunetti in diesem Fall die erste Leiche begutachten kann, vergehen gute 200 Seiten. Alles beginnt mit einem privaten Treffen zwischen Guido Brunetti und seinem Schwiegervater Conte Falier. Dieser macht sich ernsthafte Sorgen um einen sehr guten Freund und zugleich den Patenonkel von Paola, Brunettis Frau. Gonzalo Rodrìguez de Tejeda ist ein wohlhabender, mittlerweile betagter spanischer Weltenbummler, der zuletzt in Venedig erfolgreich eine Galerie besessen hat. Nun trägt er sich mit dem Gedanken, einen vierzig Jahre jüngeren aufstrebenden Mann zu adoptieren. Natürlich fragt sich jeder, warum er ihn nicht heiratet, wenn er so verliebt in ihn ist. Auch Brunetti äußert diesen Gedanken. Conte Falier bittet Brunetti um diskrete Erkundungen über den jungen Mann mit dem imposanten Namen Attilio Circetti di Torrebardo, der als Kunsthistoriker mal hier, mal da Vorträge hält und seinen Charme spielen lässt. Alle vermuten, dass es dem Jüngling wie immer nur ums Geld gehen könnte. Brunetti ist die ganze Angelegenheit mehr als unangenehm, zumal Signorina Elettra mit ihren Computerfähigkeiten drei Wochen im Urlaub sein wird.
Brunetti trifft sich mit einem guten Freund von Gonzalo, Dami Padovani, der ihm die Spielregeln im Kunstbetrieb erläutert. Auch Padovani hatte Gonzalo vor dieser Adoption gewarnt. Als Gonzalo dann von ganz allein in Brunettis Büro auftaucht, kann auch dieser sich nicht mehr zurückhalten und dem Freund einfach klarmachen, was es bedeutet, wenn er alle Befugnisse in die Hände eines gierigen, jungen Mannes legt. Aber Gonzalos möchte seine wahren Schätze einer Person überlassen, die diese in ihrem Wert und in ihrer Schönheit erkennt. Brunetti weiß, dass er seinen Kindern nichts vermachen wird, von Paolas Familie jedoch wird eine durchaus reiche Erbschaft zu erwarten sein. Diese Feststellung ist doch ein bitterer Moment für den Commissario.
Als Brunetti sind noch Gedanken über das Altern, „das Geheimnis des Todes“, das Schicksal, er liest gerade „Die Troerinnen“ ( mit vielen Parallelen zur Gegenwart ) und die Liebe macht und noch mit sich hadert, ob er dazu berechtigt sei, einfach so pauschal über den jungen Freund von Gonzalo zu urteilen, ereilt ihn die Mitteilung, dass dieser in Madrid verstorben ist. Fragt sich, ob die Adoption bereits rechtlich vollzogen wurde. Brunetti winkt ab, das interessiert ihn nicht mehr.
Wenn der treue Leser bis zu dieser Stelle gelangt ist und wie immer voller Freude mit Brunetti, der erstaunlich wenig zu tun hat und auch vom Vice-Questore Patta nur in einer persönlichen Angelegenheit konsultiert wird, durch Venedig spaziert ist, fragt sich, was dieses Vorspiel eigentlich sollte. Aber dann taucht sie doch auf, die ersehnte Leiche und auch Patta wacht auf und läuft zur alten Form auf.
„ Ein Quentchen seines Zorns richtete sich auch immer auf diejenigen in der Questura, die es versäumt hatten, Verbrecher festzunehmen, bevor oder während sie ihre Taten begingen. So auch diesmal.
„Was hatte diese Frau in Venedig verloren?“, polterte Patta, sobald Brunetti die Tür hinter sich zugemacht hatte. „Und warum hat sie einen Fremden in ihr Zimmer gelassen?“
In einem Hotel wird die Chilenin Alberta Dogson, die mit einem britischen reichen Staatsbürger verheiratet ist, ermordet. Sie war gemeinsam mit dem Ex-Freund von Gonzalos nach Venedig gekommen, um in einer privaten Trauerfeier von dem vor kurzem Verstorbenen Abschied zu nehmen. Gonzalos und sie verband eine enge Freundschaft, bis dahin, dass er ihr das Leben gerettet hat. Nur ein telefonino wurde entwendet, es ging beim Überfall auf die Frau nicht um Geld oder Schmuck. Wieso gerade sie Opfer eines Verbrechens wurde, Brunetti wird es herausfinden und vor allem wird er erfahren, warum alle Freunde, die Gonzalos gut kannten, von dieser Adoption vehement abgeraten haben. Wie immer spielen Schein und Sein eine Hauptrolle in den Krimis der Donna Leon, aber auch die Gier der Menschen nach Geld und allem anderen.
Brunetti ist inzwischen Kult, ob es nun die Kriminalgeschichten im touristisch überrannten Venedig sind oder auch die Verfilmungen mit dem gerade 75 Jahre alt gewordenen Schauspieler Uwe Kockisch in der Hauptrolle, die auch über die Grenzen hinaus bestens bekannt sind.
Große Überraschungen sind nicht zu erwarten, beim Lesen möchte man einfach nur ihnen begegnen, den altvertrauten Bekannten aus der Questura, Brunettis Familie und italienischen allzu menschlichen wie gesellschaftlichen Missständen.
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