Renate Welsh: Dr. Chickensoup, Nilpferd im Residenz Verlag, St. Pölten 2011, 143 Seiten, € 13,90, 978-3-7017-2099-6
„Früher, wann immer das gewesen war, früher also hatte sie geglaubt, dass sich die Erwachsenen auskannten in der Welt. Jetzt hatte sie das Gefühl, dass die Erwachsenen nicht wirklich besser Bescheid wussten.“
Julia lebt mit ihrer gestressten Mutter allein in Wien. Immer wieder schaut die Oma vorbei und nervt alle mit ihren guten Ratschlägen, den aufopferungsvollen Geschichten von gestern und ihren permanenten gut gemeinten Vorwürfen. Julias Vater hat der Mutter, die für seine Firma gebürgt hat, einen Schuldenhaufen hinterlassen und sich vor Jahren ins Ausland abgesetzt. Allein schon zwei Euro mal so nebenher für die Schule sind für die Mutter ein Belastung. Als Kassiererin wir ihr Gehalt offensichtlich gepfändet und es bleibt wenig zum Leben. Julias Oma benimmt sich wie eine Dampfwalze. Sie hilft zwar hier und da und doch gibt es immer nur Streit. Nie hat die Tochter ihre viel zu hohen Erwartungen erfüllt und nun diese Enttäuschung und Misere.
Julia hat keine Freunde in der Klasse, zu Geburtstagen wird sie nicht eingeladen und ist auch froh, denn sie könnte kein Geschenk mitbringen. Mit Freunden im Schwimmbad verabreden ist ebenfalls nicht möglich.
Dabei glaubte Julia früher immer, dass arm sein etwas sei, dass in die Vergangenheit gehört. Die Oma mit ihren Geschichten vom schweren Arbeiten, arm sein und sparen müssen, das leuchtete ihr ein, aber dass es nun sie und ihre Familie trifft, kann sie eigentlich nicht verstehen.
Frau Kronig aus dem Haus fängt Julia immer wiedermal nach der Schule ab und lädt sie zur Gulaschsuppe ein. Ihre Geschichten von früher sind eher lustig und nicht so gespickt mit Vorwürfen und Ermahnungen.
Dabei möchte auch Julias Mutter einfach nur leben. Sie öffnet ihre Tür für Marcel, einen optimistischen jungen Mann, der ebenfalls nichts hat, nicht mal einen Job.
Als Leyla aus Kaschmir, die noch kaum deutsch versteht, in Julias Klasse kommt, möchte die Lehrerin, dass sich Julia um sie kümmert. Die beiden werden Freundinnen.
Wie es um die Gefühle der Erwachsenen steht, erkennt Julia als die Mutter schwer erkrankt. Auch wenn Mutter und Oma wieder einen heftigen Streit, natürlich wegen dem nichtsnutzigen Marcel hatten, ruft Julia die Oma an. Und sie kommt sofort und kümmert sich liebevoll um ihr „Mäderle“. Schickt Leylas Oma Hühnersuppe für die kranke Mutter, so wird Julias Oma Hühnersuppe kochen als sie erfährt, dass Leylas Opa in der Heimat gestorben ist. Dr. Chickensoup als heilende Medizin für alle Krankheiten, physische und seelische.
Die Wogen glätten sich langsam, nur Julias Mutter wird wirklich entlassen. Vielleicht eine Chance für einen Neubeginn.
Renate Welsh hat einen Kinderroman mitten aus dem Leben geschrieben, denn längst sind die Themen, die sie anschneidet in der Gesellschaft kaum die große Ausnahme.
Einfühlsam erzählt sie aus Julias Blickwinkel von der Einsamkeit des Kindes, dem ausgegrenzt sein und zu schnellen erwachsen werden. Immer wieder beißen sich die Erwachsenen auf die Zunge, wenn sie bemerken, dass sie ihre Probleme vor dem Kind ausbreiten. Doch sie haben keine andere Wahl, die Konflikte in der Familie betreffen auch die Kinder und die haben längst verstanden, was Sache ist.
Schreibe einen Kommentar