Beate Teresa Hanika: Vom Ende eines langen Sommers, btb Verlag, München 2018, 317 Seiten, €20,00, 978-3-442-75707-7
„Ich verstehe es ja selbst nicht. Ich will sagen, dass ich das Kind zweier Mörder bin, dass ich weiß, wer mein Vater ist, und weiß, wer meine Mutter ist, und dass ich mir wünsche, es nicht zu wissen.“
Jeden Sommer verbringt die Familie von Marielle Fellner den Sommer auf einem Landgut der Verwandten in der Toscana, in Fornocchia. Zum letzten Mal wird die nun bereits Anfang 40-jährige Erzählerin mit ihrer Mutter Franka die Reise von München aus in den Süden Richtung Lucca antreten. Marielle lebt eigentlich in Amsterdam und arbeitet ohne jeglichen beruflichen Erfolg an ihren Skulpturen, dabei hätte sie doch mehr Talent als Malerin. Doch ihre Mutter, die sie einst in New York adoptiert hat, hat nur Spott für die Kunst der Tochter übrig. Beider Verhältnis ist mehr als distanziert und eher durch Schweigen und Gefühlskälte charakterisiert. Richtig geliebt wurde das Kind nur von ihrem Kindermädchen Martha, von dem sie einst glaubte, es sei ihre Mutter. Zwar hat sich Marielle auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter, einem angeblich jungen Dienstmädchen begeben, aber ohne Erfolg.
Um finanzielle Fragen muss sich Marielle nicht kümmern, denn sie lebt von ihrem Erbe. Den Großeltern gehörte eine gutgehende Handschuhfabrik.
Nach dem Tod der Mutter, die ihre Krebserkrankung für sich behalten hatte und mit der Tochter nach Italien fuhr, um auch dort zu sterben, erhält Marielle von ihrer Tante Maria de Renzi ein Paket mit Tagebüchern.
Nun erzählt Franka von einem langen Sommer in Italien im Jahre 1944 und später dann vom Jahr 1963, einem Jahr bevor Marielle geboren wurde. Marielle liest eher widerwillig die Aufzeichnungen der Mutter, die Marie eigentlich verbrennen sollte. Nach und nach setzt sich jedoch ein neues Bild von der Mutter im Kopf der Tochter zusammen. Auf dem Landgut in den Bergen waren drei deutsche Angehörige des Militärs einquartiert. Trotz deren Anwesenheit lässt sich Franka dazu überreden, den Partisanen in den Bergen Lebensmittel und Medikamente zu bringen. Dass diese Kollaboration mit dem Feind nicht ohne Folgen bleiben kann, ahnen alle auf dem Landgut, die von Frankas nächtlichen Ausflügen wissen. Als Franka sich mit Bruno Nehrlich, der offenbar aber verheiratet ist, einlässt, glaubt sie sich auf der sicheren Seite. Sie ahnt nicht, dass die tragischen Geschehnisse eines Abends, in denen sie sich schuldig gemacht hat, ihr ganzes Leben überschatten werden.
Beate Teresa Hanika ist eine versierte Erzählerin ( Unvergesslich ihr Jugendroman „Rotkäppchen muss weinen“!), die gekonnt zwischen den Zeitebenen hin- und herspringt, ohne den Leser zu verlieren. Ihre Naturbeschreibungen entfalten jedoch nicht den poetischen, sinnlichen Zauber, den die Sehnsuchtslandschaft Toscana sonst entfacht. Zwar spürt man beim Lesen die Sonne des Südens, sieht die Rosmarinpflanzen an einer bestimmten Stelle wachsen und doch wühlt diese Geschichte nicht emotional auf. Es bliebt eine unerklärliche Distanz, wie die zwischen Franka und Marielle. Vielleicht liegt es am ausführlichen Auserzählen aller Geschehnisse, an der Furcht vor Auslassungen und Ambivalenzen. Diese Stille zwischen Mutter und Tochter erklärt sich vielleicht durch die Schuldgefühle Frankas und doch hat sie ihr Kind ja behalten und nicht zur Adoption freigegeben. Es bleibt ein Unbehagen nach dem Lesen, vielleicht auch, weil das Massaker in Sant’Anna di Stezzema, dass die Deutschen als Strafe an den Italienern verübt haben, so schmerzlich nebenher erzählt wird.
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