Janet Lewis: Die Frau, die liebte, Aus dem amerikanischen Englisch von Susanne Höbel, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2018, 136 Seiten, €18,00, 978-3-423-28155-3
„Was, wenn Martin, der Fremde mit dem struppigen Bart, nicht der richtige Martin war, nicht derjenige, den sie damals um die Mittagszeit bei dem frisch gepflanzten Feld zum Abschied geküsst hatte? Ihre Sünde, wenn es sich tatsächlich so verhielt, wäre tiefschwarz, denn hatte sie nicht eine instinktive Ahnung gehabt?“
Als Kinder von Großbauern im Jahr 1539, beide sind erst elf Jahre alt, werden Bertrande und Martin verheiratet. So mehren die Familien in der Gascogne ihr Hab und Gut, so stiften sie ein friedliches Zusammenleben. Martin ist sich seiner Vormachtstellung gegenüber Bertrande bewusst und schlägt ihr unvermittelt ins Gesicht. Schnell wird klar, er hat die Grobschlächtigkeit des Vaters geerbt, er ist nicht gutaussehend, aber hat markante Züge und einen starken Willen. Mit vierzehn Jahren zieht Bertrande mit ihrer Mitgift endgültig ins Haus ihres Ehemannes ein. Sie wird in allem unterrichtet, was künftig in ihren Aufgabenbereich gehört. Sie lernt ihren Mann lieben und bekommt mit zwanzig Jahren den erwünschten Stammhalter. Erst wenn der Vater Martins verschieden ist, kann dieser die Hausmacht übernehmen. Martin will etwas verändern und handelt dem Vater zuwider. Er weiß, nur seine Abwesenheit kann den Zorn des Hausherrn mildern. Martin bezieht Bertrande in seinen Plan mit ein, aber aus der einen Woche oder dem einen Monat werden Jahre. Bertrande hat schon fast die Hoffnung auf eine Rückkehr verloren, immerhin ist ihr Stiefvater bei einem Sturz ums Leben gekommen, da steht Martin plötzlich wieder auf dem Hof.
Voller Glückseligkeit schließt die Familie ihn in die Arme, die Schwestern und Schwäger erkennen ihn ohne Zweifel. Nur Bertrande spürt einen kurzen Moment der Fremdheit, verwischt diesen jedoch wieder. Sie wird schwanger, ein Sohn wird geboren. Martin ist im Gegensatz zum alten gutartig, ruhig, ausdauernd und freundlich. Er beflügelt die Arbeit der Untergebenen, er wird von seinem Sohn Sanxi geliebt. Nur Bertrande bemerkt an sich nach und nach ein Unbehagen, das sie dem Priester gegenüber äußert. Auch der Onkel von Martin zweifelt an der wahren Identität des Neffen.
Bertrande kann nicht länger schweigen und beschwört so ein Unglück herauf. Sie ist in sich völlig zerrissen, glaubt aber, zu sündigen, da sie erneut schwanger die Kinder eines Fremden, so ihre Meinung, austrägt. Der Onkel steht ihr zur Seite, die anderen Familienmitglieder sind sich sicher, dass Martin Martin ist. Ein Prozess soll die wahre Identität mit Hilfe von Zeugen klären.
Wenn dieser Mann nicht Martin ist, wo ist dann der wirkliche Martin? Hat der Fremde, so die Vermutung Bertrandes, ihren Ehemann ausgehorcht und getötet? Wie kann es sein, dass so viele Details in seinen Reden mit der Wirklichkeit übereinstimmen?
Das Gericht jedenfalls arbeitet gründlich und es scheint nach der Aussage eines Soldaten so zu sein, dass Bertrande in den Armen eines Hochstaplers gelegen hat. Und so plädiert das Gericht nach diesem Indizienprozess für die Todesstrafe. Bertrande ist entsetzt. Die Familie erhebt Einspruch und ein neuer Termin in Toulouse wird folgen. Bertrande muss nun in sich gehen und überlegen, ob sie den Tod dieses Mannes, der ja wirklich Martin sein könnte, in Kauf nehmen will.
Janet Lewis schreibt atemberaubend und faszinierend, dank der Übersetzung von Susanne Höbel. Sie treibt die Handlung in der langen Geschichte voran und taucht in wunderbaren Szenen in die Zeit des Feudalwesens ein, öffnet die Türen zu den Häusern der Bauern, findet Bilder für die Natur und die harte Arbeit der Menschen.
Judith Hermann schreibt in ihrem Nachwort:\r\n„Über alle strenge Form und Gefasstheit hinaus ist „Die Frau, die liebte“ ein wagemutiges, ein letztlich wildes Buch.“
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