Mareike Krügel: Sieh mich an, Piper Verlag, München 2017, 256 Seiten, €20,00, 978-3-492-05855-1
„Das Etwas sitzt in meiner linken Brust und tut alles, was es nicht tun soll: Es wird nicht kleiner, ist nicht beweglich und schmerzt nicht. Es ist, was es ist. Aber es ist schließlich auch nicht seine Aufgabe, mir Hoffnung zu machen.“
Seit Jahren liegt Katharina Theodoroulakis angefangene Doktorarbeit in der Schublade. Immer wieder denkt sie an ihr Studium, an Costas, ihren Mann, der nun als Architekt in Berlin arbeitet und ihr langsam fremd wird, obwohl er regelmäßig zurück nach Lübeck kommt, um jeden Sonntagabend im sinnlosen Streit mit ihr wieder loszufahren. Katharina zieht als Ich-Erzählerin an einem Tag Bilanz und das hat einen ganz einfachen Grund, sie spürt ein Etwas in ihrer Brust und sie ahnt, was es sein könnte. Als sie kaum erwachsen war, starb ihre Mutter an Krebs. Kümmern musste sich Katharina, um den Vater und die jüngere, schwer pubertierende Schwester. Aber dann bemühte sich Costas um sie, sie heirateten kurz vor Alex‘ Geburt und zogen ins Haus der Schwiegereltern, die weit fort zogen. In allen ihren Gedanken stößt die Anfang vierzigjährige Katharina immer wieder auf eine Frage: War das alles wirklich richtig so? Wollte sie dieses Leben führen?
Ihrem Notizbuch vertraut die Protagonistin all ihre Ideen an, sie macht To-do-Listen von allen möglichen Dinge, die ihr so durch den Kopf gehen und durch die sie sich eine Struktur erhofft, die einfach nicht eintritt. Musik durchzieht die gesamte Handlung, so arbeitet Katharina in Kindergärten und gibt schlecht bezahlte Musikkurse, liebt Schumann; ihre Schwester ist Cellistin, den siebzehnjährigen Alex zieht es zum Musical.
Es dauert eine Weile, ehe man sich auf Katharina und ihr turbulentes Leben, im Präsens erzählt, einlassen kann. Zu viele seltsam kuriose Begebenheiten geschehen, die offenbar aber zu ihrem Leben dazugehören. Da verliert der ständig werkelnde Nachbar seinen Daumen, Katharina setzt sich mit ihrer extrem verhaltensauffälligen elfjährigen Tochter Helli auseinander, die wie ein Vulkan losgeht, wenn ihr etwas nicht passt. Nach und nach verliert sich Katharina in ihren Tagträumen, bei denen sie schon mal den Seitenspiegel vom Auto abfährt, in Selbstmordfantasien. Bei allen Tiefs, die Katharina durchstehen musste, auch zusammen mit Costas, immerhin hat sie ihr drittes Kind Berenike tot geboren, blitzt szenenweise viel Witz und auch Distanz in all den Selbstbetrachtungen dieser ganz durchschnittlichen Frau auf. Einige Lebensweisheiten wirken stellenweise deplatziert, andere wiederum komisch und zutreffend.
Zum Ende hin nimmt die Handlung dermaßen Fahrt auf, dass man gar nicht weiß, ob man nun lachen, sich fremdschämen oder weinen soll, denn Muttertier und Ehefrau Katharina muss einfach handeln oder untergehen. Keine Frage, interessieren wird diese Geschichte auf jeden Fall nur Frauen, und wenn es gut beworben wird, dann wird es vielleicht ein Bestseller. Die Filmrechte sind angeblich schon verkauft. Wenn es allerdings stimmt, dass dieses Manuskript einer Autorin, die zugegeben schreiben kann, hochbezahlt wurde und somit unter Erfolgsdruck steht, dann frage ich mich allerdings, was es von anderen Familien- wie Frauengeschichten so gravierend unterscheidet, sicher nicht der Humor und schon gar nicht die Turbulenzen im Leben der Katharina, die alles in den Sand setzt.
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