Doris Knecht: Alles über Beziehungen, Rowohlt Verlag Berlin, Berlin 2017, 288 Seiten, €22,85, 978-3-87134-168-7

„Viktor war irritiert, was er nicht sein wollte, dieser ganze Scheiß mit den Weibern, das alles lenkte ihn schrecklich ab. Er sollte das lassen. Er sollte endlich erwachsen werden und ein treuer Ehemann im ganz altmodischen Sinne. Wieso konnte er das nicht einfach sein?“

Viktor Kirchner ist ein getriebener Mann, zum einen steigt er mit seiner angeblichen Sexsucht gern den Frauen nach, zum anderen liebt er seine Lebenspartnerin Magda, die nun endlich nach drei Töchtern ( noch zwei Töchter stammen aus zwei vorangegangenen Beziehungen ) und langen Jahren Zusammenleben geheiratet werden möchte. Viktor wird bald 50, er ist als Intendant beruflich mit seinem Festival in Wien erfolgreich und da sollte doch auch das Private geregelt sein. Aber daran verschwendet der Lebemann keinen Gedanken, denn für ihn läuft alles prima. Magda verdient gut, kümmert sich um die Kinder, das Sozialleben der Familie und sein Wohlergehen. Er hat seine Verabredungen, trifft auch bedingt durch seine Arbeit genug willige Frauen und findet sich selbst einfach wunderbar. Dass die Frauen ihn vielleicht nicht so umwerfend positiv sehen könnten, darauf kommt der gute Viktor nicht eine Sekunde. Witzigerweise hat er sich sogar in Therapie begeben, um für viel Geld in fünfzig Minuten Absolution und eine Diagnose zu hören, die ihn in seinem Tun sogar bestätigt. Dabei sieht der Raucher Viktor mit seinem Bluthochdruck und dem Faible fürs Fahrradfahren gar nicht besonders aus, ein Durchschnittstyp, dessen größte Angst es ist, unscheinbar zu sein.

„Sie fand ihn eigentlich gar nicht so toll. Bisschen schwammig, insgesamt, konturlos, bisschen angepasst und mutlos, sowohl was seine Ansichten betraf, seine politische Haltung, seine Ideen, sein Werk, als auch in seiner Männlichkeit.“

Natürlich sagt ihm das Helen nicht, die Anwältin und Freundin von Magda. Als sie sich nach zweimaligem Anlauf endlich von ihrem Mann Paul lösen kann, ist das wie eine Befreiung. Viktor ist der „Kuchen“, den sie sich gönnt für alle Demütigungen. Am wohlsten fühlt sich Viktor allerdings mit Frauen, die in festen Beziehungen leben. Trennt sich eine, ist Viktor ziemlich schnell unerreichbar. Nicht so bei Helen.

Alles beginnt mit einer seltsamen SMS von Lisbeth, einer abgelegten Geliebten. Viktor wundert sich kurz, verschwendet keinen Gedanken mehr an ihre Worte oder Telefonate und wendet sich der neuen Geliebten zu, die ihm per SMS eine Absage schickt. Folgt der Leser zu Beginn dem selbstverliebten, entlarvenden Gedankenstrom des Viktor Kirchner, so kommen nun Geliebte von ihm zu Wort, die ihre Sicht der Dinge erklären und ihr Fremdgehen begründen.

Es ist der gnadenlose Blick auf alle Figuren, die Doris Knecht beschreibt. Ob Mann oder Frau, vielleicht nicht Magda, aber alle kommen nicht gut weg. Sind es die falschen Selbstbildnisse, die seltsamen Erwartungen oder auch der Drang, jemand zu sein, ob nun im wahren Leben oder bei Facebook.

„Diese scheiß sozialen Medien ruinierten die Leute, die größten Dummköpfe hielten sich wegen ein paar Likes für große Intellektuelle, glaubte auf einmal, sie hätten eine politische Haltung, weil sie eine politische Statusmeldung likten von Leuten, die sich das trauen, während sie selber nichts konnten als erigierte Däumchen drücken. Jeden Blödsinn, der ihnen gerade einfiel, schrieben die Leute hinein, sie reagierten ihre Wut ab und ließen sich komplett gehen.“

Auch für Viktor ist dieses Facebook eine Gefahr, aber eigentlich sucht er auch diesen Nervenkitzel, bis zu dem Moment, wo wirklich, dank Lisbeths SMS, alles auffliegt und der gute Viktor in den Abgrund stürzt. Naja, nicht ganz, da ist ja immer noch die unkomplizierte Josi.

Will man das wirklich alles über diesen hohlen „Hobbit“ Viktor wissen und über Frauen, die ihre eigenen Beziehungen durch ein Fremdgehen mit Viktor aufpeppen müssen?


„Es ist meistens der Alltag, der Beziehungen und Ehen ruiniert, und Josi und Viktor hatten keinen, also. Es war easy, so gesehen.“ \

Sicher ist das keine neue Erkenntnis, und doch schreibt die einfach exzellente Beobachterin des Alltags, Doris Knecht, in ihrer fast schnoddrigen, unverblümten Sprache wie nebenbei von tiefen Konflikten, Einsichten und Konsequenzen in Beziehungen. Was kann man ertragen, wo ist die Grenze? Ins Herz schließen kann der Leser den geilen Viktor auf gar keinen Fall, Platz wäre da schon eher für die Frauen um ihn herum.