Mary Gaitskill: Die Stute, Aus dem Englischen von Barbara Heller und Rudolf Sorge, Klett-Cotta Verlag, 540 Seiten, €25,00, 978-3-608-98109-4
„Mir schien, dass sie aggressiv mir gegenüber war. So wie sie mit ihrer Mutter umgegangen war, als sie zu der Aufführung gekommen waren, so wie sie sich auf subtile Art auf die Seite der großen blonden Frau in dem Stall gestellt und ihre Mutter ausgeschlossen hatte. Velvet wusste alles über Schwäche und Macht, und es war, als würde sie auf meinen wunden Punkt drücken, einfach um zu sehen, was passierte.“
Ginger geht langsam auf die Fünfzig zu, sie leidet unter ihrer Kinderlosigkeit und keine richtige Frau zu sein. Als sie Paul, er hat eine Tochter aus erster Ehe, bei den Anonymen Alkoholikern kennenlernt, verlieben sich die beiden. Paul arbeitet als Dozent in einer Kleinstadt nördlich von New York. Ginger malt, würde sich aber selbst nie als Künstlerin bezeichnen. Mit dem Gedanken spielend, dass sie ein Kind adoptieren könnten, melden sie sich für ein Ferienprogramm einer Hilfsorganisation an, um ein Kind aus einem Armenviertel in New York für vierzehn Tag aufzunehmen. Velvet ist elf als sie Ginger und Paul kennenlernt. Sie lebt mit ihrer Mutter Silvia, die für den Lebensunterhalt der Familie schuftet, und dem kleinen Bruder beengt in einer kleinen Wohnung. Für Ginger ist das Mädchen aus der Dominikanischen Republik mit ihrem krausen Haar einfach nur bezaubern schön und Velvet begeistert sich fürs Reiten und den Stall, den Ginger ihr gezeigt hat. Noch schüchtern, beginnt Velvet sich langsam an die neue Umgebung zu gewöhnen. Erste Konflikte entstehen als Ginger versteht, Velvets Mutter spricht oder vielmehr brüllt nur Spanisch, dass das Mädchen nicht reiten darf. Die Beziehung zwischen Velvet und ihrer Mutter ist seltsam angespannt, zum einen liebevoll, zum anderen gewalttätig, denn Silvia kann sich nur lautstark verständigen oder mit dem Gürtel, mit dem sie gnadenlos auf den jungen Körper ihrer Tochter eindrischt.
Der hinterhältige Sohn Dante steht daneben und lacht, wenn seine Schwester verprügelt wird. Sylvia, als Mutter, die ihre Kinder nicht beschützen kann und in einem Land lebt, dessen Sprache sie nicht mal beherrscht, muss mit ihren Enttäuschungen fertig werden. Für Velvet beginnt mit dem Kontakt zu Ginger nun eine Zerreißprobe. Zum einen möchte sie der Mutter, die nie etwas Gutes für die Tochter will und ständig behauptet, sie sei schlecht, alles recht machen, zum anderen sehnt sie sich nach ihrem störrischen und unberechenbaren Pferd Fugly Girl. Velvet lügt, wenn es sein muss, sie wird in der Schule gemobbt, sie lebt in einer Umgebung voller Gewalt. Ginger jedoch hat sich in das Mädchen verliebt und weiß, dass sie ihr nie so nahe sein kann, wie sie es sich wünscht. Sie kann Velvet einiges ermöglichen, aber sie ist nicht ihre Familie. Ihr Mann Paul versucht Ginger diese Distanz klarzumachen, aber Ginger verschließt sich jeglichem rationalen Denken.
Immer wieder besucht Velvet Ginger und es stellt sich heraus, dass sie eine exzellente Reiterin sein könnte, die sogar hören kann, was die Pferde zu sagen haben. Die Bindung an das nicht zähmbare Pferd stärkt Velvets Handeln und Denken und ihre innere Freiheit, wenn sie reiten darf. Aber Velvet gerät, um anderen zu imponieren, in Schlägereien, sie bringt keine guten Noten nach Hause, auch wenn Ginger mit ihr am Telefon die Hausaufgaben macht. Je mehr Ginger das Kind an sich binden will, um so problematischer wird für Velvet die eigene Familie und ihr Umfeld.
Ginger muss Velvet auch klarmachen, dass sie ihre Eskapaden nicht zahlen kann, auch wenn sie als Weiße vielleicht etwas mehr Geld hat als ihre Mutter. Doch Ginger lenkt ein, versucht Velvet an sich zu ziehen, schickt der Mutter trotz allem Geld, will das ihre Familie in ihre Gegend zieht und hofft sehr, dass das Mädchen sogar bei einem Turnier mitreiten könnte. Dabei bemerkt Ginger, die auch heimlich und aus Verzweiflung um das Kind einen Drink nimmt, nicht, dass ihr Mann eine Affäre hat und die beiden sich voneinander entfernen.
Mary Gaitskill lässt ihre Figuren, Ginger, Velvet, Paul und Silvia aus ihrer Sicht von den Geschehnissen erzählen. Dabei achtet sie nicht sonderlich auf die Figurensprache, denn Velvets Erklärungen sind manchmal einfach zu erwachsen. Und doch liest sich dieser Roman absolut spannend, denn er erzählt direkt und ungeschminkt von verzweifelten, nicht unbedingt sympathischen Menschen in realen Lebenssituationen, deren Konflikte verständlich und nachvollziehbar sind.
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