Lorraine Fouchet: Ein geschenkter Anfang, Aus dem Französischen von Sina de Malafosse, Atlantik bei Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 2017, 368 Seiten, €20,00, 978-3-455-60056-8
„Man hat nur ein Leben, Lou. Er schafft es nicht zu wählen. Ich kann nicht für ihn entscheiden. Ich kann nicht für Sarah entscheiden. Was willst du? Dass ich Patrice wiederfinde? Dass ich Albane ausschalte? Gib mir einen Hinweis!“
Doch Lou, Jos geliebte Ehefrau und äußerst schlechte Köchin, kann ihm nicht mehr helfen, denn sie ist viel zu früh verstorben. Eine seltsame Krankheit hat sie am Lebensende zu einer völlig anderen Person gemacht. Dabei hatte Jo sich endlich nach seiner erfolgreichen Karriere als Kardiologe in Paris auf seine Insel Groix zurückgezogen, den Ort, den beide so liebten. Hier sind seine Kinder Cyrian und Sarah groß geworden und hier wollte er mit Lou und seinen Freunden alt werden.
Doch alles ist völlig anders gekommen. Cyrian und seine Frau Albane besuchen die Insel mit ihrer dicklich arroganten Tochter Charlotte nur, wenn sie wirklich keine Ausreden mehr haben. Dabei hat der Sohn eher die Mutter besucht als seinen verhassten Vater, den er immer beeindrucken wollte. Drei -, viermal besucht Cyrian auf Groix auch seine zweite Tochter Pomme, die mit ihrer Mutter bei Jo lebt. Pomme leidet unter dem abwesenden Vater und auch unter seiner emotional distanzierten Haltung ihr gegenüber. Zur attraktiven Sarah, die als Filmproduzentin arbeitet, hat Jo ein sehr enges Verhältnis. Dass sie eine unheilbare Krankheit hat, die sie auch zeitweilig an den Rollstuhl fesselt, ist der Kummer seines Lebens.
Aus allen Perspektiven, auch zeitlich versetzt, erzählt Lorraine Fouchet von einer disfunktionalen Familie, die Lou mit ihrem Vermächtnis wieder in eine harmonisch miteinander lebende Familie verwandeln will. Sie fordert von ihrem Mann, der sich bei der Beziehungsarbeit zu seinen Kindern eher zurückgehalten hat, das ist notariell festgelegt, dass er dafür sorgt, dass seine Kinder Sarah und Cyrian endlich glücklich werden. Doch wie schafft man das bei erwachsenen Kindern, die zum einen weit weg wohnen und zum anderen wenig von ihrem Vater halten.
Ertränkt Jo seinen Kummer anfänglich in Alkohol, so schafft er es nach und nach doch, mehr über Cyrian und Sarah herauszufinden.
Als Sarah und Patrice heiraten wollten, wurde Sarahs Krankheit diagnostiziert. Er hat sich in Windeseile von dannen gemacht. Jo sorgt nach zehn Jahren für eine Aussprache auf Augenhöhe. Cyrian geht fremd, denn er hat Albane nur geheiratet, weil sie schwanger war. Cyrians Geliebte ist eine eiskalte Geschäftsfrau, die sich ihren Stand hart erarbeitet hat. Albane, die hochnäsige Hausfrau, wiederum sorgt mit ihrer überängstlichen Art dafür, dass sich ihre Tochter Charlotte wie in einem Käfig fühlt. Sie darf keine Freunde haben, geht mit ihren neun Jahren nicht einen Schritt allein und ist äußerst boshaft zu Pomme. Diese wünscht sich eine richtige Schwester und nicht eine, die ihr immer wieder vor Augen führt, dass sie eigentlich gar nicht erwünscht ist und vielleicht sogar auch gar nicht die Tochter von Cyrian.
Aber Albane und auch die anderen Figuren sind nicht nur borniert, sie zeigen im Laufe der Geschichte auch ganz andere Seiten.
Doch wann ist jemand wirklich glücklich?
Am Ende sitzen alle friedlich an einem Tisch und können sich in die Augen schauen.
Mission geglückt!
Dass die Geschichte dieser Familie auf ein gutes Ende hin steuert, ahnt der Leser sicher schnell. Lorraine Fouchet schafft es, unterhaltsam und glaubhaft ihre Figuren, die zum Glück nie eindimensional gezeichnet sind, durch ein Labyrinth von Begegnungen und Entscheidungen zu führen. Am wichtigsten sind die Einblicke, die jede Figur aus ihrer Sicht offenbart und so Motivationen und Gründe des Handelns nachvollziehbar macht. Jo, die Hauptfigur, ist da keine Ausnahme, denn er steht am Ende dank seiner Frau nicht vor einem Trümmerhaufen, sondern vor einer neuen Familie.
Schreibe einen Kommentar