Dominic Smith: Das letzte Bild der Sara de Vos, Aus dem Englischen von Sabine Roth, Ullstein Verlag, Berlin 2017, 345 Seiten, €20,00, 978-3-550-08187-3

„Sie kann es nicht fassen, dass beide Gemälde fast ein halbes Jahrhundert hindurch nebeneinander existiert haben sollen, ein Planet und sein Trabant.“

Im November 1957 wird aus dem New Yorker Penthouse des wohlhabenden Patentanwalts Marty de Groot das einzige Gemälde von Sara de Vos gestohlen. „Am Saum des Waldes“ ist bereits seit dreihundert Jahren im Besitz der Familie, die aus den Niederlanden stammt. Ersetzt wurde es klammheimlich durch eine exzellente Kopie. Allerdings ahnt die Restauratorin und Doktorandin Ellie Shipley, die aus Sydney kommt, nichts von diesen kriminellen Machenschaften. Ihr Spezialgebiet ist das Goldene Zeitalter der niederländischen Barockmaler, speziell der Frauen. Als kaum anerkannte Außenseiterin, die auch noch mit sich und ihrer Arbeit hadert, spürt die sechsundzwanzigjährige Frau eine innere Genugtuung als sie es schafft, eine wirklich gute Fälschung an ihre Auftraggeber abzuliefern. Allerdings wundert es die Künstlerin, das sie nur ein Foto von dem Bild sehen kann und dass es offensichtlich irgendwo über einem Bett hängt.

In verschiedenen Zeitebenen erzählt Dominic Smith nun von Marty, Ellie, aber auch Sara de Vos. Und er geht kaum fünfzig Jahre in der Handlung weiter und berichtet von einer Ausstellung in Sydney, in der nun diese beiden Bilder, Original und Kopie, aus Leiden und New York ankommen werden. Inzwischen lebt und lehrt Ellie als Kunstprofessorin in Australien und kuratiert sogar diese Ausstellung. Lebenslang begleitet Ellie dieses Bild „Am Saum des Waldes“ und seine Geschichte. Jetzt kann es sie ihre wissenschaftliche Karriere und ihren Ruf kosten. Marty, hoch in den achtzigern, bringt sein Bild von Sara de Vos, also das Original, selbst nach Sydney, denn er will sich mit Ellie endlich aussprechen.

Marty und Rachel de Groot ist es nicht vergönnt, Kinder zu bekommen. Marty vermutet, dass dieser tragische Moment in seiner Ehe auch mit der Winterlandschaft über dem Bett zu tun haben könnte. Zum einen ist er ziemlich ungehalten darüber, dass jemand sein Bild ausgetauscht hat, zum anderen spürt er, dass seine Frau plötzlich wieder auflebt und Freude am Leben hat.

Szenenwechsel ins 17. Jahrhundert: Sara de Vos, eine ausgebildete Stilllebenmalerin, verliert in Amsterdam durch die Pest ihr einziges Kind. Ihr Mann, ein Landschaftsmaler, gerät in die Schuldenfall und wird von der Lukasgilde ausgeschlossen. Sara kann sich in ihrem Schmerz nur helfen, indem sie ihr Kind in einer Winterlandschaft zeichnet. Als Saras Mann sie verlässt, begibt sich die Malerin nach Heemstede, um die Schuld der Familie bei Cornelis Groen abzuarbeiten. Sie malt für ihn wieder Landschaftsbilder.

Marty de Groot beauftragt einen Privatdetektiv herauszufinden, wer sein Bild kopiert hat. So lernt er Ellie unter falschem Namen kennen und verbringt immer mehr Zeit mit ihr. Er ist fasziniert von dieser jungen enthusiastischen Frau und gerät zwischen dem Wunsch sie zu enttarnen und seinen Gefühlen für sie in einen Gewissenskonflikt.

Dominic Smith zeichnet ein atmosphärisch genaues Bild von der Gesellschaft um 1650, dass man meint, man stehe neben den Figuren mitten im 17. Jahrhundert. Er hat ein gutes Gespür für seine fiktionalen Figuren ( Sara de Vos hat nie gelebt, aber zwanzig andere niederländische Barockmalerinnen schon ), schreibt lebendige Dialoge und unterhält seinen Leser mit faszinierenden Beschreibungen der Malkunst. Parallelen zwischen Ellie und Sara, die sich beide in ihrer Zeit verkannt fühlen, sind nicht zu übersehen. Schnell wechselt der Autor, der ebenfalls in Australien geboren wurde, die Schauplätze und Zeiten, ist mal bei Sara, dann wieder bei Marty und Ellie und schlägt einen geschickten Spannungsbogen über Jahrhunderte hinweg. Dominic Smith nimmt seinen Leser auf dieser Reise zwischen Kunst und Leben komplikationslos mit und unterhält ihn ausgezeichnet.