Kent Haruf: Unsere Seelen bei Nacht, Aus dem Amerikanischen von pociao, Diogenes Verlag, Zürich 2017, 208 Seiten, €20,00, 978-3-257-06986-0
„Worüber willst du denn reden?\r\nIch würde gern wissen, was du denkst?
Worüber?
Darüber, hier zu sein. Wie es sich inzwischen anfühlt. Über Nacht hierzubleiben, meine ich.
Mittlerweile halte ich es ganz gut aus, sagte er. Es fühlt sich normal an.
Normal?
Ich will dich nur auf den Arm nehmen.
Das weiß ich. Sag mir die Wahrheit.
Die Wahrheit ist: Es gefällt mir. Es gefällt mir sehr.“
Ein kleiner Ort, irgendwo in Colorado. Zwischen Ulmen und Ahorn stehen die beiden Häuser von Addie Moore und Louis Waters. Nur ein Haus trennt die beiden, die eigentlich nicht viel voneinander wissen. Beide haben über siebzig Jahre gut gelebt und sind durch Höhen und Tiefen gegangen. Sie haben ihre Lebenspartner verloren, ihre Kinder wohnen nicht in ihrer Nähe. Sie pflegen ihre Häuser, ihre Gärten und sind doch einsam. Er trifft sich mit alten Männern beim Bäcker, sie fährt mit der alten Ruth, ihrer Nachbarin, zum Einkauf.
Wie lebendig die beiden noch sind, wird klar, als Addie eines Tages zu Louis geht und ihm einen verwegenen Vorschlag macht. Sie möchte gern, dass er an ihrer Seite einschläft und sie vorher reden. Sie will nicht mehr abends allein sein.\r\nBeide scheren sich nicht um das Getratsche im Ort und sind eigentlich nur bedrückt über die distanzlose Art ihrer Kinder. Holly, die Tochter von Louis, findet es nur peinlich und Gene, der Sohn von Addie, glaubt, dass Louis auf das Geld seiner Mutter aus ist.
Abends im Bett erzählen die beiden sich entscheidende Momente aus ihrem Leben. So berichtet Louis von seiner Affäre mit Tamara, seiner gleichförmigen Ehe mit Diane, seiner Leidenschaft für die Poesie, seinen Träumen. Addie erlebt in ihrer Erzählung noch einmal den frühen Tod ihrer Tochter Connie, die noch ein Kind war als sie starb. Sie spricht über Gene, ihren von ihrem Mann Carl ungeliebten Sohn und alle Veränderungen auch in ihrer Ehe, den der Unfalltod des Kindes verursacht hatte.
Dieses intime Reden in der Dunkelheit bringt die beiden immer näher zusammen.
Als dann Gene seinen sechsjährigen Sohn Jamie zur Großmutter bringt, weil er gravierende Ehe- und Existenzprobleme hat, kümmern sich Addie und Louis um den verängstigten Jungen. Doch Gene betrachtet nach wie vor die Beziehung seiner Mutter zu dem fremden Mann als abartig. Dabei entsteht gerade zwischen Louis und Jamie ein Vertrauensverhältnis. Sie spielen Baseball, Louis kommt auf die Idee, dem Jungen einen Hund zu schenken. Die Ablehnung Genes, der mit seiner Frau wieder einen Neuanfang starten will, Louis gegenüber vergiftet das Verhältnis der beiden alten Menschen, die sich bereits auch körperlich näher gekommen sind. Addie und Louis erzählen sich vom Tod ihrer Partner und ihren eigenen Ideen vom Jenseits. Nichts ist schöner als diese würdevolle Annäherung zweier erfahrener Menschen, die allerdings nicht allein auf einer Insel leben.
Addie ist innerlich völlig zerrissen und zutiefst von ihrem Sohn enttäuscht, aber sie will den Kontakt zu ihrem Enkel nicht verlieren, den Gene unterbrechen wird, wenn die Mutter sich nicht fügt. Als sie sich die Hüfte bricht, kehrt sie nicht mehr in ihr Haus zurück. Doch Louis lässt sich nicht einfach so bei Seite schieben.
Kent Haruf erzählt in einer wunderbar einfachen wie feinfühligen Sprache von der unsentimentalen und doch berührenden Annäherung zweier alter Menschen, die für sich ein neues Lebensgefühl entdecken. Es fällt nicht schwer sind Jane Fonda und Robert Redfort in einem geplanten Film nach dieser Buchvorlage, laut Information des Verlages, vorzustellen.
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