Cynthia D’Aprix Sweeney: Das Nest, Aus dem amerikanischen Englisch von Nicolai von Schweder-Schreiner, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2016, 410 Seiten, €19,95, 978-3-608-98000-4

„Alle drei fragten sich, wie er das machte, wie er es jedes Mal schaffte, so entspannt zu sein und gleichzeitig alle anderen nervös zu machen. Dass er selbst jetzt, hier bei diesem Mittagessen, wo er sich beschämt und bloßgestellt hätte fühlen müssen und die Machtverhältnisse sich gegen ihn hätten wenden sollen, ja müssen, immer noch ihre Aufmerksamkeit lenkte und eine sonderbare Kraft ausstrahlte. Selbst jetzt warteten, hofften sie darauf, dass er das Wort ergriff.“

Alles beginnt mit einem tragischen Unfall, der für die vier Geschwister Leo, Melody, Bea und Jack Plumb erhebliche Auswirkungen auf ihr weiteres Leben haben wird. Der unter Drogen stehende Leo ist in seinem Porsche glimpflich davon gekommen, seiner Mitfahrerin, die illegal in den USA lebenden Matilda Rodriquez, jedoch musste der Fuß amputiert werden. Um alles zu vertuschen, zapft Leo „das Nest“ an, den Treuhandfond seines Vaters, der an alle Geschwister zum 40. Geburtstag, also in drei Monaten, von Meldody ausgezahlt werden sollte. Mutter Francie, die nie viel Sinn für die Familie hatte, gibt grünes Licht für ihren ältesten Sohn und die Geschwister dürfen nun mit nur 10% des Geldes rechnen. Dabei haben alle, besonders nach der Finanzkrise 2008, auf eine kräftige Zahlung gehofft.

Die amerikanische Autorin Cynthia D’Aprix Sweeney lässt nun jedes Familienmitglied vor dem Treffen in der Oyster Bar in Manhattan irgendwoander erst mal einen Drink nehmen. Niemand will vor Leo, der in einer Entzugsklinik war, Alkohol trinken. Leo, der einstige Star der Neuen Medien, hat auch noch eine Scheidung vor sich, nach der seine Frau Victoria fast sein ganzes Geld bekommen wird. In gewisser Weise hat Leo ohne Rücksichten auf andere gelebt, eine Firma aufgebaut und wieder verkauft, um sich eine Auszeit zu nehmen, in der seine Frau sein Geld zum Fenster hinausgeworfen hat. Nun beginnt die Schlammschlacht und Leo muss in der Oyster Bar den Geschwistern, die ihn sowieso für einen Egoisten halten, zu Kreuze kriechen. Aber dazu ist der Egomane Leo gar nicht in der Lage. Er gibt sich nicht schuldbewusst, sondern behauptet, er brauche nur drei Monate, um die Dinge hinzubiegen. Dabei hatte er schon kurz nach der Eheschließung ein Offshore-Konto eröffnet, dass eigentlich die ausstehenden Kosten für die Geschwister decken könnte. Aber Leo denkt gar nicht daran, sie wirklich auszuzahlen.

Die Geschwister waren sich nie sehr nah, abgesehen von Leo und Bea, die sich als Schriftstellerin einen Namen gemacht hatte, aber über erste Publikationen nicht hinauskam.

Jedes Familienmitglied der Plumbs hat sich hoch verschuldet und ist nun, durch Leos extravagantes Leben in einer finanziellen Bredrouille. Jack, der ein Antiquitätengeschäft führt, kann schon lang nicht mehr die Kosten für die Miete aufbringen und hat das gemeinsame Sommerhaus von sich und seinem Mann, einem gut verdienenden Anwalt, mit einer Hypothek in der Hoffnung auf das Nest, belegt. Melody liebt ihre Zwillings-Mädchen über alles. Sie sollen eine gute Ausbildung erhalten. Allerdings ist alles Geld in das Hausprojekt geflossen. Nun sieht es so aus, als könne die Familie kein privates College für die Kinder bezahlen. Nur Bea klammert sich nicht ans Geld, denn sie hadert mit ihrer Schreiberei und hat einen Job bei einer Literaturzeitschrift.

Durch die finanziellen Engpässe kommen sich die Geschwister jedoch auf wunderbare Weise immer näher und sogar Leos On- und Offfreundin Stephanie gehört dazu, nun da sie von Leo schwanger ist, was er noch nicht weiß. Denn Leo hat sich wiedermal aus dem Staub gemacht, nachdem all seine Kontakte in Manhattan nicht funktioniert haben und Bea plötzlich über ihn schreibt.

Niemand kommt aus diesem Familiendebakel ungeschoren davon, nur Leo entzieht sich skrupellos allem. Die Familie Plumb rückt ohne ihn zusammen und das beruhigt an diesem Debütroman, dessen Geschichte universal ist.

Schnell zieht die amerikanische Autorin den Leser in die Handlung hinein, die Manhattan als Kulisse und die Ereignisse am 11. September 2001 genauso thematisiert wie alltägliche Teenagerprobleme oder Schreibblockaden, denn sie sichtet die Geschehnisse aus den jeweiligen Blickwinkeln ihrer Hauptfiguren, die nicht unbedingt sympathisch sind und doch wie jemand aus dem entfernten Bekanntenkreis wirken. Bei Geld hört die Freundschaft auf, innerhalb der Familie verschärft sich dieser Spruch noch. Unfähig den Bruder zu fassen, müssen die Geschwister ihre Geldmiseren für sich lösen und dabei geht es auch tragisch zu. Alles kulminiert in der Geburtstagsfeier für Melody, wo die Karten endgültig gemischt sind.

Einfühlsame, wie realitätsnahe Familiengeschichte mit Tiefgang und Wärme!