Donna Leon: Endlich mein, Commissario Brunettis vierundzwanzigster Fall, Aus dem Englischen von Werner Schmitz, Diogenes Verlag, Zürich 2016, 320 Seiten, €24,00, 978-3-257-06943-3

„Unerklärliche Gewaltverbrechen duldeten keinen Aufschub. Wenn er mit seiner Interpretation der Ereignisse richtig lag, war nicht auszuschließen, dass Francesca nur ein erstes Opfer gewesen war; Flavia könnte das zweite werden.“

Die amerikanische Autorin Donna Leon mit langjährigem Wohnsitz in Venedig liebt Opern, am liebsten die von Georg Friedrich Händel und Zeitgenossen. Auch ihre Heldin, die Starsopranistin Flavia Petrelli (bereits Hauptfigur in Brunetti-Fällen wie „Venezianisches Finale“ und „Acqua Alta“) freut sich auf das Einstudieren der Händelstücke. Allerdings muss sie noch einige Vorstellungen der Giacomo Puccini Oper „Tosca“ hinter sich bringen. Keine Frage, die Atmosphäre im Opernhaus La Fenice ist nicht die Beste. Der Dirigent ist ihr keine Stütze, der Tenor zu jung und der Bariton, der den Scarpia singt, ein selbstverliebter Kollege, wie sie viele kennt. Strahlend lächelnd steht die Diva vor ihrem jubelnden Publikum und nimmt die Ovationen entgegen. Dreht sie sich zum Bühnenraum um, ist die angebliche Freude sofort aus dem Gesicht verschwunden. Wie wohltuend waren früher die persönlichen Begegnungen mit den Fans am Ausgang der Opernhäuser. Heute ist Flavia nach dem Adrenalin-Schub auf der Bühne nur noch müde. Sie sehnt sich nach einem Essen, etwas Wein und einem langen Schlaf. Flavia ist eine erfahrene Sängerin und nicht mehr die Jüngste. Abends skypt sie mit ihren fast erwachsenen Kindern und sie ist nicht mehr neugierig aufs Reisen oder Hotelaufenthalte. In Venedig wohnt sie in der Wohnung ihres einstigen Geliebten, Freddy. Auch er hat inzwischen Familie, Kinder und Frau.
Als sie in einem Gespräch Commissario Brunetti, der mit seiner Frau Paola natürlich die Opernaufführung besucht, an den Glamour erinnert, der sie umgibt, kann sie nur noch abwinken. Längst ist die Presse nur noch an privaten Verfehlungen, Affären und Skandalen interessiert, kaum an künstlerischen Themen.
Bei allen Huldigungen, die Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, ertragen müssen, gehören sicher auch Blumensträuße. Nur Flavia wird mit gelben Rosen nur so überhäuft. Allerdings führt der Blumensegen bis vor ihre Tür. Niemand kann sich erklären, wie der Mann oder die Frau ins Haus gelangt sind. Bei einem privaten Essen im Hause von Brunettis Schwiegereltern äußert Flavia ihre Besorgnis über das Rosen-Stalking, das sie bereits in St. Petersburg und London erlebt hat. Eine unglaublich teure Kette findet die Operndiva ebenfalls in ihrer Garderobe.

Aber zu diesem Zeitpunkt ist bereits ein Verbrechen geschehen. Eine junge Sängerin, Francesca Santello, wurde von einer Treppe gestoßen und hat sich durch den Stoß erhebliche Arm- und Kopfverletzungen zugezogen. Kurz vor dem Sturz wurde ihr mit verstellter Stimme zugeflüstert: „È mia“. Sie gehören mir oder sie gehört mir, beides wäre in der Übersetzung möglich. Brunetti vermutet eine Verbindung zwischen dem brutalen Angriff auf die junge Sängerin und Flavia einen Zusammenhang, denn diese hat der jungen Frau bei einer Probe zugehört und sie sehr gelobt. Natürlich liegt er richtig. Signorina Elettra, die kurzzeitig streikt, weil Alvise von Tenento Scarpa ungerecht behandelt wurde, geht der Herkunft der Kette auf die Spur und wird fündig.

Jeder neue Brunetti – Roman ist ein Muss für Fans. Ob der Fall kompliziert oder eher doch, wie beim 24. Fall, durchschaubar ist, spielt keine Rolle mehr. Jeder Opernliebhaber hört beim Lesen die unvergleichliche Musik Puccinis, das Flehen der Tosca um ihren Geliebten Cavaradossi, die tiefe Sehnsucht nach Liebe und Gier des skrupellosen Scarpia und vor allem die tiefen Emotionen, die in allen Arien liegen. Als Brunetti und Vianello hinter der Bühne Flavia beschützen, verliebt sich Vianello in diese wunderbaren Kompositionen. Zum Glück muss er mit seiner Frau zu Hause nicht „Downton Abbey“ sehen.

Donna Leons Romane sind mittlerweile Selbstläufer und natürlich sieht man vor seinem inneren Auge, wenn man die Handlung verfolgt und die deutsche Serie mag, die Darsteller Uwe Kockisch, Karl Fischer, Annett Renneberg oder Julia Jäger als Brunetti, Vianello, Elettra oder Paola, Brunettis Frau, die wenn sie liest, um sich herum nichts mehr hört und sieht.
Mit „Endlich mein“ verbringt man einen unterhaltsamen Nachmittag auf dem Sofa, ist gedanklich im totgesagten und so lebendigen Venedig und zum Glück geschieht dieses Mal kein Mord.

Und wie wunderbar, ob im Roman oder Film, alle Hauptfiguren werden älter.