Val McDermid: Der lange Atem der Vergangenheit, Aus dem Englischen von Doris Styron, Droemer Verlag, München 2015, 448 Seiten, €19,99, 978-3-426-28134-5

„Der Mann, den sie gekannt hatte, der Mann, den sie länger als zwanzig Jahre geliebt hatte … dieser Mann konnte doch nie getan haben, wessen dieser verrückte alte Priester ihn beschuldigte.“

Hoch im Dach der baufälligen John Drummond School in Edinburgh wird durch Zufall ein Skelett gefunden. Nach den Untersuchungen ist klar, es handelt sich um einen Mann Mitte vierzig, der in seinem Schädel ein Loch hat. Mord. Ein Fall für Detective Chief Inspector Karen Pirie und DC Jason „Minzdrops“ Murray, beide zuständig für alte, ungeklärte Fälle. Schnell wird festgestellt, dass dieser Mann aus Osteuropa, den Balkan stammen muss, denn seine Zähne weisen alte, aber auch westeuropäische Füllungen auf. Parallel zur Geschichte lernt der Leser auch gleich Professor Maggie Blake kennen, die an der Universität Oxford für die Geopolitik des Balkans zuständig ist.
Sie leidet auch nach gut acht Jahren unter der plötzlichen Trennung von Dimitar Petrovic, den alle Mitja nannten. Er war kroatische General, Geheimagent, tätig in der NATO und UNO. Beide lernten sich zu dem Beginn des Balkankrieges in Dubrovnik kennen, zogen dann zusammen nach Oxford und heirateten heimlich.
Von einem Tag zum anderen verschwindet Mitja aus dem Leben Maggies, ohne ein Wort oder eine Erklärung.

Ebenfalls parallel zur Geschichte blättert Val McDermid in den Erinnerungen von Maggie und zeichnet die Ereignisse nach, die eintraten nach dem Zerfall Jugoslawiens, ein dunkles zeitlich sehr nahes und unvorstellbar grausames Kapitel.

Und noch ein Aspekt spielt bei diesem Fall eine wichtige Rolle, die Abwicklung des Strafgerichtshofes. Zwei etwas lahme, um nicht zu sagen gleichgültig faule Beamte des Justizministeriums harren nun der Dinge, die geschehen werden. Alan Macanespie und Theo Proctor werden nun allerdings durch ihren neuen Chef Wilson Cagney aufgescheucht. Sie sollen endlich klären, wer hinter den Morden steckt, die an einstigen, serbischen Kriegsverbrechern, die kurz vor ihren Vorladungen nach Den Haag stehen, verübt werden. Die beiden mutmaßen, dass es nur der verschwundene Mitja sein kann, denn er hatte die Behörden heftig für ihre Inkompetenz kritisiert.

Alle genannten Personen werden sich irgendwann in dieser fiktiven Geschichte mit wahrem historischen Hintergrund über den Weg laufen. Nach und nach klärt sich, dass der Tote wirklich Mitja ist.

Nachdem Maggie diese Gewissheit hat, reist sie nach Dubrovnik, um herauszufinden, wer Mitja wirklich war. Eigentlich wollte sie nie etwas über seine Kindheit oder Jugend erfahren, doch nun muss sie es wissen. Sie fährt in sein Heimatdorf an der serbischen Grenze, das eigentlich gar nicht mehr existiert und erfährt eine ungeheuerliche Geschichte.

Wie tief hat der Krieg die Menschen verändert? Wie genau kennt man den Menschen, der durch die Kriegsereignisse traumatisiert wurde? Wie konnten Serben, Kroaten, Kosovaren, Albaner zu solchen Greultaten fähig sein? Was haben die Kriegsgeschehnisse im Nachhinein in den Menschen ausgelöst?
Mitja kann nicht der Rächer sein, doch wer steckt dahinter?
Eine Schlussstrich unter eine bis heute undurchsichtige Zeit zu ziehen, ist sicher nicht möglich. Val McDermid schreibt in einem packenden Stil, sie beschönigt nichts und doch weidet sie sich auch nicht an den brutalen Geschehnissen im Balkankrieg. Dass nichts vergessen sein soll, dafür plädiert dieser spannende Krimi, der es schafft die handelnden Figuren als widersprüchliche Menschen zu zeigen und nicht als Abziehbilder, wie es vielen aktuellen Krimis leider der Fall ist.