Catherine Charrier: Die Kunst des Wartens, Aus dem Französischen von Claudia Steinitz, Rowohlt Verlag, Reinbek 2015, 256 Seiten, €19,95, 978-3-498-00804-8
„In diesem Zwischen-zwei-Städten, Zwischen-zwei-Leben hat sich ihre Liebe entfaltet. Aber jetzt wird dieser geschlossene Raum plötzlich zu klein, drohen die Mauern zu explodieren. … Nun aber wächst unaufhaltsam ihr Verlangen nach einem gemeinsamen Leben, einem Neuanfang mit dem Liebhaber.“
Marie liebt ihren Mann Paul, ihre verantwortungsvolle Arbeit, ihre Töchter Salomé und Rose und doch trifft sie sich seit gut zwölf Jahren mit ihrem viel älteren Liebhaber Roch. Er lebt mit Frau und Tochter in Nantes. Jeder führt auf seine Weise ein erfülltes Leben und doch sind die kurzen Ausflüge in die Zone des Verbotenen und Reizvollen für beide unerlässlich. Maries Partner und auch Rochs Frau ahnen von dem Verhältnis, äußern sich aber nicht dazu.
Rochs Tochter fürchtet um die Ehe der Eltern und bindet den Vater mit ihrer Magersucht. Marie und Roch haben sich über die Arbeit kennengelernt und sehen sich auch oft durch gemeinsame geschäftliche Verbindungen. Zwar gibt es Gerede unter den Mitarbeitern, aber die Gerüchte laufen ins Leere.
Marie ist die Erzählerin und sie ist es auch, die wartet. Irgendwann entsteht in ihr der Wunsch, doch endlich mit dem Liebhaber, Paul kann ihr körperlich nicht das geben, was Roch vermag, zu leben. Aber Roch vertröstet sie immer wieder. Er wird sich nie von seiner von ihm abhängigen Frau lösen. Seine Tochter spielt die Hauptrolle in seinem Leben, obwohl er nicht viel zu Hause ist, genauso wenig wie Paul. Marie verfolgt sogar Rochs Frau, um zu sehen, wer diese bestimmende Person im Dasein ihres Liebhabers ist. Doch sie ist weder attraktiv noch charmant, eher untersetzt und müde.
„Woher kommt es, dass Frauen, die arbeiten, von ihrer unmittelbaren Umgebung weniger für die Erziehung der Kinder gewürdigt werden, obwohl sie eine doppelte Last zu tragen haben, während man denen, die sich ausschließlich der Erziehung widmen, grenzenlose Anerkennung schenkt? Warum errichtet man nicht auch denen Denkmäler, die sich voller Leidenschaft in das aufreibende und verrückte Abenteuer von Arbeit und Familie stürzen?“
Und sich wie Marie auch noch einen Liebhaber gönnen und zeitlich damit auch noch klarkommen. So werden Lügen für Marie und Roch zur zweiten Natur. Als Marie mit Paul, der seine Arbeit wechselt, nach Paris zieht, überlegt sie, einen Neuanfang mit ihrer Familie zu versuchen. Roch verspricht Marie nichts, er versucht auch nicht, sie zu halten. Paul zu verlassen, um für Roch da zu sein, das kann Marie nicht. Und sich ganz von ihm lösen auch nicht. Aber dieses begehrt werden von Roch, dieses offene Reden über den Sex, das Treffen in anderen Städten und die Wartezeiten fachen die Leidenschaft der beiden immer wieder an. \n\n„Ich komme schlecht gelaunt in Lyon an, er aber erwartet mich mit einem Lächeln auf den Lippen auf dem Bahnsteig, du hast mir gefehlt, der ewige Satz des Wartens.“
Aber dann verlässt nach Jahren des heimlichen Treffens Roch Frau ihren Mann. Sie ist fünfzig und nun nach der Erziehung des Kindes ist sie mal beruflich an der Reihe.
Roch bleibt weiterhin in den Fängen seiner Frau. Das schlechte Gewissen und seine Lügen binden ihn an sie viel stärker, als sie noch in einer Stadt gelebt haben.
Maries Körper jedoch scheint sich langsam gegen das Warten zu wehren. Sie beginnt sich zu übergeben und das langsam chronisch. Ihre Kräfte versagen und als Paul sie verlässt, klappt sie völlig zusammen und versucht sich umzubringen.
Gedanklich folgt der Leser allem, was Marie reflektiert. Sie sieht nichts unkritisch und doch bleibt diese ständige Glücksanspruch, diese Sehnsucht als Frau sexuell begehrt zu werden, ihr Antrieb für alles. Ob das nun Liebe oder Sucht ist, bleibt dem Urteil des Lesers überlassen.
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