Lorenza Gentile: Teo, Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki, Deutscher Taschenbuch Verlag, Hardcover, München 2015, 200 Seiten, €19,90, 978-3-423-28051-8
„Wenn ich Napoleon treffen wollte, musste ich unsichtbar werden wie er. Und das wollte ich, denn nur so würde ich herauskriegen, was ich tun musste, um Mama und Papa zu helfen, die Schlacht zu gewinnen, und sie glücklich zu machen, bevor sie für immer verloren hatten und wie die Eltern von Giulia wurden, die geschieden waren.“
Die Welt ist kompliziert und für einen achtjährigen Jungen ist es nicht so leicht, sich darin auszukennen. Wer kommt ins Paradies und wer muss in die Hölle? Was ist Reinkarnation? Wie kann es sein, dass Gott nicht mit einem spricht? Geht man in die falsche Kirche, wohnt er woanders? Und was bedeuten diese Zeichen, die er angeblich aussendet? Schwierig, schwierig, schwierig.
Aber Teo hat sich fest vorgenommen, er muss mit Napoleon, der ja angeblich alle Schlachten gewonnen hat, sprechen. Hätte Teo mal sein Sachbuch über Napoleon, das er zum Geburtstag, zumindest besser als Fußbälle oder Ringelsocken, bekommen hat, zu Ende gelesen. Auf jeden Fall ist der Junge, der aus seiner Perspektive erzählt, von der Idee besessen, dass nur der bedeutende Feldherr ihm und seiner Familie helfen kann. Nur leider ist er schon tot.
Unerträglich sind die Streitereien der Eltern. Nie können sie sich unterhalten, ohne dass die Wände wackeln und Teo in sein Zimmer flieht. Seine ältere Schwester Matilde reagiert auf die angespannte Situation in der Familie eher mit Wutausbrüchen.
Teo erkundet die Welt mit Fragen und auch diese sind für Mama wie Papa einfach nur nervig. Sie reagieren mit Ausflüchten oder Allgemeinplätzen, dabei sind die Fragen gar nicht so kompliziert: Was ist böse, was ist gut? Wo und wann kann Teo mit Gott sprechen?
Susu, Teos Kindermädchen, ist da schon gründlicher in ihren Antworten, aber manchmal kann Teo auch sie nicht verstehen. Als Matilde Teo rät doch die Bibel zu lesen, scheint das wie ein Befreiungsschlag zu sein. Aber die Bibel ist ziemlich dick und langweilig, zumindest für Teo. Er benötigt einen Experten und das kann nur Gott sein. Aber Gott redet nicht mit Teo, auch nicht am Sonntag in der Kirche.
Teo sammelt alle Informationen über die Hölle, das Paradies und die verschiedenen Religionen. Auch in der Klasse ist Teo, der in Mathe ziemlich schwach, in Geschichte aber gut ist, isoliert. Als die Lehrerin, die ihre Schüler leicht inkompetent als „kleine Biester“ bezeichnet, das Mathe-Ass Xian-wei neben Teo setzt, erfährt der Junge gleich etwas über Zahlen. Xian-wei klärt seinen Banknachbarn über die negativen Zahlen im chinesischen Denken auf und das bringt Teo etwas weiter.
Die Spannungen in Teos Familie nehmen immer mehr zu. Nach den lauthalsen Ausseinandersetzungen folgt die verhängnisvolle Stille zwischen den Eltern, die Teo überhaupt nicht vertragen kann. Und dann fährt auch noch Teos Vater weg und die Mutter empfängt den französischen Maler Rimbaud, um ein Porträt von sich anfertigen zu lassen. Als Rimbaud auch noch behauptet, er könne Teo zu Napoleon bringen, würde der Junge am liebsten die Schule schwänzen. Aber er muss sich gedulden. Doch die Enttäuschung ist groß, denn in der Nationalbibliothek erwartet Teo nicht der leibhaftige Napoleon, sondern nur Bilder und Statuen. Und doch ist Napoleon ja anwesend.
Jetzt fällt der Groschen bei Teo, er muss unsichtbar werden und das heißt, er muss sterben. Völlig pragmatisch geht Teo an dieses Problem heran, er erzählt auch seinem neuen chinesischen Freund von seinem Vorhaben. Und da Teo ja bald unsichtbar ist, benötigt er auch nicht mehr das Buch über Napoleon und so schenkt er es Xian-wei. Der jedoch ist ein schneller Leser und am Montag, dem Tag, an dem Teo vor die U-Bahn springen will, erzählt er ihm, dass Napoleon durchaus eine wichtige Schlacht verloren hat – Waterloo.
Wunderbar sprachlich elegant bringt die junge italienische Autorin Lorenza Gentile diese Geschichte eines achtjährigen Jungen zu einem guten Ende. Auf den letzten Seiten bleibt dem Leser der Atem weg, denn Teos knallharte Analyse, seine Beharrlichkeit und sein Kampfgeist, die Familie wieder ins Lot zu bringen, berühren und beunruhigen zutiefst. \r\nLorenza Gentiles Sprache ist trotz der Erzählweise eines Kindes nie einfach strukturiert oder gar altklug. Es macht Spaß, Teos Gedanken zu folgen, die Dinge aus seiner Sicht zu betrachten als hätte man nie über den Tod, das Leben, den Glauben oder die Liebe nachgedacht.
Sicher ist das ein Buch für Erwachsenen, aber genauso gut können auch Jugendliche es lesen, denn sie werden sich und ihre eigenen Fragen und Probleme wiederfinden.
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